Der überglückliche Mark Cavendish umarmte seine Kinder, gab seiner Frau Peta einen Kuss und ließ sich kräftig feiern. Er schloss seine letzte große Mission schon zu einem frühen Zeitpunkt der 111. Tour de France ab. Der routinierte Sprint-Star errang seinen lang ersehnten alleinigen Rekord an Etappensiegen. Der Brite übertraf damit endgültig die Legende Eddy Merckx mit seinem 35. Tageserfolg in seiner Tour-Karriere.
„Ich bin sehr, sehr glücklich“, sagte der komplett erfüllt wirkende 39-Jährige. „Ich habe ein so tolles Team“, schwärmte er. „Ich bin so dankbar, dass meine Familie gestern extra gekommen ist.“ Ihn mache es stolz, dass seine Liebsten diesen Moment mit ihm teilen konnten.
Auf der fünften Etappe rauschte Cavendish zum Sieg. „King Cav“ besiegte nach den 177,4 Kilometern zwischen Saint-Jean-de-Maurienne und Saint-Vulbas den Sprint-Star Jasper Philipsen und Norweger Alexander Kristoff im Massensprint. Für Cavendish ging mit dem 165. Karrieresieg, womit er auch auf Platz zwei der ewigen Bestenliste hinter Merckx (275) liegt, ein Traum in Erfüllung. Für den routinierten Fahrer ist es die 15. Tour-Teilnahme.
Dabei drohte ihm am Samstag schon das Aus, als er bei der harten Auftaktetappe entkräftet mit 39-minütigem Rückstand ins Ziel rollte. Zuvor hatte er sich übergeben müssen und war von seinen Team-Kollegen mit Wasser bespritzt worden. Nun kam der große Coup schon früher als gedacht im Rennverlauf.
Für Cavendish ist es wohl die letzte Teilnahme an der Frankreich-Rundfahrt. Bereits im Vorjahr wollte er eigentlich seine Karriere beenden. Nach einem Sturz auf der achten Etappe musste er die Tour mit einem Schlüsselbeinbruch verlassen. Er verlängerte seinen Vertrag aber noch einmal. Alles für den letzten großen Sieg. Sein Astana-Team setzte voll auf Cavendish. „Wir haben genau das erreicht, was wir wollten“, sagte Cavendish, der Tränen in den Augen hatte - und sich vor Glückwünschen im Interview nicht retten konnte.
Aus deutscher Sicht erfreulich: Tour-Debütant Pascal Ackermann wurde Sechster. Wie erwartet änderte sich an der Spitze der Gesamtwertung nichts. Nach seiner Klettershow am Vortag liegt der im Gelben Trikot fahrende Tadej Pogacar weiter mit 45 Sekunden vor dem Belgier Remco Evenepoel und mit 50 Sekunden vor Titelverteidiger Jonas Vingegaard.
Für die Favoriten auf den Tour-Sieg um Pogacar und Vingegaard ging es einen Tag nach dem kräftezehrenden Duell am Col du Galibier etwas ruhiger zu. Pogacar hatte den Dänen mit einem eindrucksvollen Tempo attackiert und kurz vor dem Gipfel abgehängt. Danach schnappte sich der slowenische Ausnahmefahrer mit einem Vorsprung von 50 Sekunden auf seinen Kontrahenten den Tagessieg.
Vingegaard bleibt trotz des schweren Schlags gelassen. „Ich muss es akzeptieren. Wir haben vor der Tour erwartet, dass wir an drei der ersten vier Tage Zeit verlieren. Jetzt sind es nur 50 Sekunden. Statt 0:3 liegen wir 0:1 hinten. Das ist gut“, sagte der Däne mit Blick auf seine komplizierte Tour-Vorbereitung nach seinem schweren Sturz im April bei der Baskenland-Rundfahrt. „Meine Zeit wird kommen“, fügte Vingegaard hinzu.
Beide Top-Fahrer liefern sich seit einigen Jahren ein umkämpftes Duell. Pogacar gewann 2020 und 2021 die Tour, Vingegaard düpierte seinen Widersacher in den vergangenen beiden Jahren. Nach der Machtdemonstration am Galibier plant Pogacar schon den nächsten Angriff: „Am Freitag kommt es zum nächsten Rendezvous beim Zeitfahren.“ Dann könnte es eine Revanche nach dem klaren Zeitfahrsieg Vingegaards im vergangenen Jahr geben, als er in den Alpen mit 1:38 Minuten deutlich vor Pogacar im Ziel ankam.
Der lockere Pogacar machte sich am Mittwoch einen Spaß, als er im Gelben Trikot auf der Sprintetappe eine nicht ganz ernst gemeinte Attacke setzte. Ernster meinten es dagegen Clément Russo und Mattéo Vercher. Die Franzosen distanzierten das Hauptfeld im ersten Etappendrittel und wurden 36 Kilometer vor dem Ziel eingefangen.
Bei noch 60 verbliebenen Kilometern hatte Pogacar knapp den Zusammenstoß mit einer abgesicherten Verkehrsinsel abgewendet. Der Superstar wich gerade noch aus, stattdessen stürzten sechs andere Profis - kurz darauf konnten alle weitermachen. Auch danach kam es noch zu vereinzelten Stürzen auf den Schlusskilometern.
Am Donnerstag sind die Sprinter schon wieder am Zug. Auf der sechsten Etappe legen die Profis 163,5 Kilometer von Macon nach Dijon zurück. Die leichte Flachetappe bietet wenige große Hürden. Am Ende dürfte es auf den finalen 800 Meter vor dem Ziel einen Massensprint geben.
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