Tadej Pogacar zeigte keine Gnade. Ein kurzer Blick zurück auf Jonas Vingegaard, ein brachialer Antritt - und der fünfte Etappensieg war dem Dominator der 111. Tour de France nicht mehr zu nehmen. Mit dem Triumph auf dem Col de la Couillole unweit seiner Wahlheimat Monaco setzte der Slowene eine Marke, die bei der Tour zuletzt Marcel Kittel 2017 erreicht hatte. Stolz zeigte Pogacar eine Hand mit fünf ausgestreckten Fingern, als er die Ziellinie überquerte.
„Man bremst nicht im Radsport“, sagte der 26-Jährige mit einem Grinsen. „Wenn man mir vor der Tour gesagt hätte, dass das alles so kommt, ich hätte es nicht geglaubt. Das ist nicht von dieser Welt.“ 5:14 Minuten liegt Pogacar vor dem abschließenden Zeitfahren am Sonntag vor Vingegaard. Das historische Double aus Siegen beim Giro d'Italia und der Frankreich-Rundfahrt im selben Jahr, das zuletzt die bereits gestorbene Ikone Marco Pantani 1998 geholt hatte, ist nur noch Formsache.
Vingegaard hatte auf den letzten Metern auf ein wenig Mitleid von Pogacar gehofft. „Ein klein wenig hatte ich die Hoffnung, dass er mir den Sieg überlässt. Ich wusste, dass ich im Sprint keine Chance haben würde, da ich schon am Limit war“, sagte der Däne. Sauer war er keineswegs: „Wahrscheinlich hätte ich dasselbe getan.“
Pogacar schraubte sein Konto damit auf insgesamt 16 Etappensiege. Langfristig will er die erst bei dieser Tour aufgestellte Bestmarke von Mark Cavendish knacken. Der Brite hatte seinen 35. Etappensieg gefeiert.
Auf das Trikot des besten Bergprofis, das Pogacar lange auch innehatte, muss er allerdings verzichten. Das begehrte weiße Jersey mit den roten Punkten sicherte sich am Samstag der Ecuadorianer Richard Carapaz, der Dritter der Etappe wurde. Der Olympiasieger muss am Sonntag im Zeitfahren nur noch das Ziel erreichen.
Insgesamt wäre es der dritte Tour-Sieg für Pogacar. Damit steht er auf einer Stufe mit Greg LeMond. Rekordsieger mit je fünf Erfolgen sind Eddy Merckx, Bernard Hinault, Jacques Anquetil und Miguel Indurain. Lance Armstrong waren seine sieben Siege wegen Dopings aberkannt worden.
Im Mai hatte Pogacar beim Giro triumphiert, lag am Ende fast zehn Minuten vor dem zweitplatzierten Kolumbianer Daniel Martinez. Ein Fragezeichen stand lange dahinter, wie der Ausnahmefahrer die Belastung verkraften würde. Pogacar beantwortete das mit Leistung, gewann zwei schwere Bergankünfte in den Pyrenäen und eine in den Alpen.
Nach seinem vierten Etappensieg am Vortag hatte Pogacar bereits angekündigt, die mit vier Anstiegen gespickte Kletterei durch die Seealpen genießen zu wollen. „Das ist mein Trainingsgebiet, ich kenne jeden Berg sehr, sehr gut“, sagte Pogacar. Der Däne Vingegaard hatte zudem seine letzte Hoffnung auf den Gesamtsieg begraben und wollte sich auf die Absicherung des zweiten Platzes konzentrieren.
Das 33,7 Kilometer lange Abschlusszeitfahren dürfte für Pogacar zu einer reinen Triumphfahrt werden. Selbst einen Defekt könnte er sich angesichts des Vorsprungs leisten. Ein Drama wie 1989, als die Tour zuletzt mit einem Einzelzeitfahren zu Ende gegangen war, wird es nach menschlichem Ermessen nicht geben.
Damals war LeMond mit 50 Sekunden Rückstand auf den Führenden Laurent Fignon in den Kampf gegen die Uhr in Paris gegangen. Der US-Amerikaner überließ nichts dem Zufall, fuhr mit einem Triathlon-Aufsatz am Lenker und einem Zeitfahrhelm, während der Franzose mit wehendem blonden Haar durch die Straßen der französischen Hauptstadt jagte. Am Ende lag LeMond acht Sekunden vor Fignon und feierte den knappsten Tour-Sieg der Geschichte.
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