Remco Evenepoel feierte seine beeindruckende Ardennen-Show nur kurz im berühmten Regenbogentrikot, schnell waren die Gedanken des Weltmeisters bei seinem großen Rivalen Tadej Pogacar.
„Es war ein furchtbares Geräusch hinter mir. Ich wusste sofort, dass jemand schwer gestürzt war. Ich wünsche Tadej eine schnelle Genesung. Ich kenne solche Momente aus meiner Karriere“, sagte Evenepoel nach seinem Triumph beim Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich. Hinter Evenepoel fuhren der Brite Thomas Pidock und der Kolumbianer Santiago Buitrago auf das Podium.
Statt des erhofften Gipfeltreffens wurde es am Sonntag in den verregneten Ardennen der zweite Solo-Triumph des belgischen Wunderkindes. Auf den Erfolg im Trikot des Weltmeisters hatte Evenepoel lange hingearbeitet. „In diesem Trikot zu gewinnen, ist magisch. Ich wollte ein Foto, um es an die Wand zu hängen. Das habe ich geschafft“, sagte der 23-Jährige. Unterdessen lag Pogacar im Krankenhaus von Genk, nachdem er bereits nach 84 des 258,1 Kilometer langen Rennens mit elf schweren Anstiegen gestürzt war.
Pogacars Team UAE teilte mit, der zweimalige Tour-Sieger habe sich unter anderem das Kahnbein gebrochen. Der 24 Jahre alte Slowene sei bereits am Sonntag operiert worden und muss womöglich mehrere Wochen pausieren. Der Eingriff verlief erfolgreich, der Radstar reist am Montag zurück in seine Heimat.
Für Pogacar platzte mit der Aufgabe der Traum vom berühmten Ardennen-Triple. Der Slowene hätte als erst dritter Fahrer nach dem früheren Gerolsteiner-Profi Davide Rebellin (2004) und Philippe Gilbert (2011) das Triple aus Amstel Gold Race, Flèche Wallonne und Lüttich komplettieren können. Nun gilt es für Pogacar, schnell wieder fit zu werden, um die Vorbereitung auf die am 1. Juli beginnende Tour de France aufzunehmen.
Sein Rivale Evenepoel lieferte aber ab - und wie! An der bis zu 22 Prozent steilen Côte de la Redoute setzte der 23-Jährige eine erste Attacke, der nur noch Pidcock folgen konnte. Drei Kilometer später war auch der Mountainbike-Olympiasieger abgehängt. „C'est le TGV“, brüllte der belgische Kommentator ins Mikrofon. Der Hochgeschwindigkeitszug Evenepoel rollte unaufhaltsam Richtung Lüttich. Der Vorsprung war schnell auf über eine Minute angewachsen. So ging der Traum von Evenepoel in Erfüllung: Er fuhr im Regenbogen-Trikot des Weltmeisters nach Lüttich.
Bald wird sich unter anderem Lennard Kämna mit dem belgischen Superstar beim Giro d'Italia auseinandersetzen müssen, wenn Evenepoel nach der Vuelta 2022 seine zweite Grand Tour gewinnen will. Kämna will in Italien erstmals die Gesamtwertung bei einer dreiwöchigen Rundfahrt in Angriff nehmen.
Die kleine deutsche Fraktion von fünf deutschen Fahrern spielte im Finale von Lüttich keine Rolle, trotzdem waren sie beim Ritt durch die Ardennen präsent. So gehörten Quereinsteiger Jason Osborne, der einst Weltmeister im Rudern war, und Georg Zimmermann lange Zeit einer Fluchtgruppe an, die aber gut 50 Kilometer vor dem Ziel zerfiel.
Eine Schlüsselszene des Rennens spielte sich aber schon nach 84 Kilometern ab, als die Kameras noch gar nicht auf Sendung waren. Auf einer Abfahrt kam Pogacar zu Fall. Offenbar hatte der Däne Mikkel Honoré nach einem Reifenschaden den Sturz ausgelöst. Das gesamte UAE-Team wartete zwar noch auf seinen Superstar und wollte ihn wieder zurück ins Feld bringen, doch es ging nicht mehr weiter für den 24-Jährigen, der in dieser Saison bislang in einer eigenen Liga fährt und schon zwölf Saisonsiege geholt hat.
Was Pogacar verpasste, schaffte dagegen Demi Vollering bei den Frauen. Die Niederländerin triumphierte nach ihren Siegen beim Amstel Gold Race und dem Flèche Wallonne auch in Lüttich. Nach 142,8 Kilometern verwies Vollering die Italienerin Elisa Longo Borghini auf Platz zwei. Die WM-Vierte Liane Lippert aus Friedrichshafen belegte den achten Platz.
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