Plakate, Wahlwerbung, Bratwurststände und möglichst feurige Bühnen-Auftritte - der Europawahlkampf steht kurz bevor, die Parteien laufen sich warm. Bei der AfD steckt der Karren allerdings fest, bevor er richtig losrollen kann: Das eigentliche Zugpferd der Partei für den Wahlkampf, Maximlian Krah, soll erst einmal seinen Kopf unten halten, weil einer seiner Mitarbeiter wegen mutmaßlicher China-Spionage in Untersuchungshaft sitzt. Bei Krah selbst prüft die Staatsanwaltschaft, ob sie Ermittlungen aufnimmt wegen möglicher Russland- und China-Verbindungen.
Ganz aus dem Rennen genommen hat die AfD-Spitze ihn nicht, aber ganz vorne mitspielen soll er auch nicht. Keine Plakate, keine Videos und nur eingeschränkte Showtime auf der Wahlkampfbühne. Wie soll das eigentlich funktionieren?
Bis in hohe Parteikreise zuckten Vertreter mit den Schultern. Klar ist, dass sich die beiden Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla am Samstag beim Wahlkampfauftakt der AfD in Donaueschingen nicht Seite an Seite mit Krah blicken lassen werden. Der Sachse ist entgegen der ursprünglichen Planung nicht dabei. „Um den Wahlkampf sowie das Ansehen der Partei nicht zu belasten“, wie Weidel und Chrupalla mitgeteilt hatten. Was danach kommt, ist offen.
Der Terminkalender werde gerade angepasst, teilte Krah der dpa mit. „Dresden, 1. Mai. Das steht“, fügte er hinzu. Zumindest sein Heimspiel wird er also voraussichtlich spielen können. Das bestätigte auch Chrupalla, der nach eigenen Angaben am 1. Mai ebenfalls in Dresden sein wird - „zeitversetzt“, wie er hinzufügte. Ein bisschen Distanz also, aber nicht ganz. Zu weiteren möglichen Krah-Terminen gab es zunächst keine Informationen.
Vieles ist im Fluss. Die Aufregung wegen der Spionage-Vorwürfe in der AfD ist groß. In Chatgruppen an der Basis gebe es Forderungen, sich hinter dem Spitzenkandidaten zu versammeln und sich nicht von ihm zu distanzieren, war aus Parteikreisen zu hören - die berühmte Wagenburgmentalität. Krah selbst sieht sich zu Unrecht im negativen Scheinwerferlicht. Bei X (früher Twitter) schrieb er, die Staatsanwaltschaft führe nun „bei der Presselage erwartbar und routinemäßig“ Vorermittlungen, diese dienten dazu zu prüfen, ob es überhaupt einen Anfangsverdacht gibt. „Wir befinden uns also nach wie vor im Bereich der Vermutungen und Unterstellungen.“
Kritische Parteimitglieder wie die AfD-Europaabgeordnete Sylvia Limmer griffen dagegen die AfD-Chefs Weidel und Chrupalla offen an: „Man duckt sich weg und übernimmt nicht die politische Verantwortung“, sagte sie im Deutschlandfunk. Krahs Positionen seien bekannt, er habe sich immer pro China geäußert und sei immer massiv prorussisch unterwegs gewesen. „Das ist wie bei Hempels, was sie unter den Teppich kehren. Ich befürchte nur, es wird keinen Teppich geben, der groß genug ist, um das alles darunter zu kehren.“
Nicolaus Fest, ebenfalls AfD-Abgeordneter im EU-Parlament, erwähnte im RTL-„Nachtjournal“ ein Video Krahs zum 70. Geburtstag der kommunistischen Partei Chinas und warf ihm vor, in Abstimmungen im Europaparlament immer prochinesisch gestimmt zu haben. „Warum macht man sowas? Aus ideologischen Gründen sicherlich nicht. Aus Gründen der Menschenfreundlichkeit auch nicht - dann bleibt nicht mehr so wahnsinnig viel übrig.“ Weidel und Chrupalla hätten sich über Warnungen hinweggesetzt und seien mehrfach darauf hingewiesen worden, „dass Herr Krah, ich sag's mal so, ein Blindgänger ist, der jederzeit hochgehen kann“.
Hinter vorgehaltener Hand wird auch in der AfD darüber spekuliert, warum sich Weidel und Chrupalla bei Krahs Wahl im vergangenen Sommer für diesen eingesetzt haben und warum sie nun weiter an ihm festhalten. Hat Krah möglicherweise belastendes Wissen? In einer Bundestagsdebatte sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz: „Der Fisch stinkt vom Kopf, und zwar vom Bundesvorstandskopf der AfD.“
Zwar ist es rechtlich nicht möglich, die Kandidatenliste für die Europawahl jetzt noch zu verändern. Allerdings wäre es sehr wohl möglich, Krah als Spitzenkandidat zu entfernen, sagte der Politikwissenschaftler Florian Grotz dem Portal „The Pioneer“. Die Bezeichnung Spitzenkandidat sei kein wahlrechtlich definierter Begriff. „Theoretisch könnte die Partei ihren Wahlkampf auch auf eine Person zentrieren, die auf Listenplatz fünf steht.“
Ein formaler Posten ist eine Spitzenkandidatur tatsächlich nicht. Parteien wählen Listen mit Kandidaten, mit denen sie zu einer Wahl antreten. Je weiter hinten auf der Liste jemand steht, desto schlechter werden - abhängig vom Wahlergebnis - seine Chancen, ins Parlament einzuziehen. Wer auf Listenplatz eins steht, ist also sicher drin.
Die Sachsen-AfD stemmt sich dagegen, dass der Dresdner Krah nun erst einmal versteckt werden soll. „The Pioneer“ zitierte aus hochrangigen sächsischen Parteikreisen: „Wir werden den Spitzenkandidaten nicht in einen Giftschrank wegsperren. Selbstverständlich werden wir mit Max Wahlkampf machen und ihn auch plakatieren“. Der Deutschen Presse-Agentur wurde diese Position bestätigt. In westdeutschen Landesverbänden dürfte die Stimmungslage anders sein.
Der Politikwissenschaftler Grotz hält den China-Skandal für die „vielleicht kritischste Phase für die AfD seit 2020, als die Partei anfangs nicht wusste, wie sie mit Corona umgehen soll“. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, erwartet eine sinkende Zustimmung für die Partei. „Ich rechne bei der Europawahl mit keinem Durchmarsch der AfD, das wird eher ein mäßiges Ergebnis“, sagte er dem „Tagesspiegel“ (Freitag). Bei der Europawahl 2019 hatte sie 11 Prozent erzielt, in den Umfragen lag sie zuletzt zwischen 15 und 19 Prozent.
Der Darmstädter Politikwissenschaftler Christian Stecker erwartet dagegen nicht, dass die AfD bei der Europawahl wegen der China-Affäre relevanten Schaden erleidet. Die AfD biete eine große Projektionsfläche - unter anderem für Bürger, die mit der Ampel-Koalition sehr unzufrieden sind, sagte er der dpa. Außerdem dürften in den Wertemaßstäben der Kernwählerschaft der AfD die Vorwürfe weniger schwer wiegen als bei den Anhängern anderer Parteien.
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