Über verpasste Chancen, Pech auf dem Kunstmarkt und wie ein kleines Museum relevant bleiben kann, darüber haben Dr. Markus Hirte und Dr. Karl-Heinz Schneider mit unserer Zeitung gesprochen. Und natürlich ging es beim geschäftsführenden Direktor des Kriminalmuseums und seinem Vorgänger auch um das Heckel-Aquarell, das gerade im Museum gezeigt wird – und hier bleiben soll.
Herr Dr. Hirte, Herr Dr. Schneider, die Spendenaktion des Kriminalmuseums und unserer Zeitung für das Werk des Brücke-Malers Erich Heckel, das einen Blick ins Taubertal zeigt, läuft noch bis 8. Januar. Warum ist es so wichtig, dass das Aquarell in der Stadt bleibt?
Schneider: Es wäre letzten Endes ein Geschenk an die Rothenburger, die solch ein Bild nicht kennen. Die Stadt hat in der Vergangenheit mindestens zwei Mal die Chance vergeben, die große Kunst nach Rothenburg zu holen. Für uns ist es jetzt wichtig, zu zeigen, dass Rothenburg jenseits der hier immer vorgestellten Wege noch eine andere Dimension hat: Das ist die moderne Kunst. Wir möchten den Gästen zeigen, wie weit und wie breit Rothenburg eigentlich aufgestellt war in der Kunst. Den Rothenburgern wollen wir zeigen, welch große Wertschätzung Rothenburg in der Kunst hat. Da sind wirklich große Namen dabei.
Welche Namen? Welche verpassten Chancen?
Schneider: Die zwei Chancen sind leicht erklärt. Die eine ist die „Rote Stadt II” von Wassily Kandinsky. Der Kandinsky hängt heute im Centre Pompidou in Paris. Da hätte man vielleicht versuchen müssen – wenn damals die Wertschätzung für Kandinsky da gewesen wäre – das Bild in den 1920er- oder 1930er-Jahren zu erwerben. Es gibt auch noch einen Hinweis, dass mit großer Wahrscheinlichkeit in Odessa in der Ukraine in einem Museum Skizzen aus dieser Zeit von Kandinsky liegen. Die hat noch keiner mit Blick auf Rothenburg durchgeschaut. Vielleicht ist da noch was dabei. Es soll nämlich auch noch eine „Rote Stadt I” geben. Müsste man einfach mal suchen.
Und die zweite verpasste Chance?
Schneider: Ich meine es war in den 1980er-Jahren, ich kenne die Geschichte nur aus zweiter Hand. Es geht um das Gemälde „Straße in Rothenburg” von Christian Rohlfs. Das Werk war zuvor in der Sammlung Pelikan in Hannover gewesen, als es angeboten wurde. Damals wäre der Preis bei 60.000 Mark gelegen. Laut der Geschichte hat der damalige Oberbürgermeister jemanden in der Stadt gefragt, von dem er angenommen hat, dass er kunstverständig ist. Der hat ihm stark abgeraten. Heute kostet ein Rohlfs 300.000 Euro.
Wie schätzen Sie das Werk „Im Taubertal” im Vergleich ein?
Schneider: Es ist ein Bild der 1a- bis 1b-Kategorie, dass dann in Rothenburg wäre. Sogar das MOMA, das Museum of Modern Art in New York City, zeigt Heckel. Die Meinungen über das Bild an sich gehen natürlich auseinander. Darüber lässt sich streiten. Das sind meist aber ästhetische Einwendungen. Ich habe mich in den letzten Wochen mit Leuten unterhalten, die eigentlich modern eingestellt sind, die aber über das Bild als „Kindermalerei” schimpfen. Aber das Bild erschöpft sich ja nicht nur in seiner ästhetischen Qualität.
Sondern?
Schneider: Da steckt viel mehr drin. Man muss die Zeitumstände wissen. Der Expressionismus ist vor dem Ersten Weltkrieg entstanden. Die Kunst hatte zu diesem Zeitpunkt das Gefühl, sie läuft irgendwo in eine Sackgasse rein. Da gab es Leute, die versucht haben, diese Grenzen zu sprengen und etwas Neues zu machen. So auch Heckel, dessen Stil auf den ersten Blick sehr intuitiv aussieht – als hätte der Künstler im Fieberwahn gearbeitet. Aber das war alles sehr überlegt. Dies alles ist weltweit als wichtiger Schritt in der Kunstgeschichte anerkannt. Wichtig ist auch: Der Expressionismus ist eine typisch deutsche Entwicklung. Die gibt es so nirgends anders.
Hirte: Kunst kann, soll und darf nicht jedem gleich gefallen. Sonst haben wir Einheitsbrei. All jenen, die sagen „Das finde ich total blöd, warum kauft ihr das?”, sage ich: Super. Es soll nicht allen gefallen. Alleine, wenn mir das Bild nicht gefällt, habe ich mich schon mit der Kunst beschäftigt.
Das Kriminalmuseum finanziert sich seit mehr als 100 Jahren selbst. Wäre der Heckel also auch eine wichtige Investition in die Zukunft des Hauses?
Hirte: Wir müssen mal 20, 30 Jahre in die Zukunft blicken. Jetzt geht's uns gut, der Tourismus kommt schon wieder. Kulturbegeisterte besuchen natürlich die Hauptstadt Berlin. Sie besuchen zum Beispiel aber auch Städte wie Chemnitz – denn da tut sich was im Bereich moderne Kunst. Wichtig für uns ist, dass wir auch in den Bereich moderne Kunst reingehen, dass wir zeigen: Da können wir auch mitspielen. Ich bin mir ganz sicher, dass in 30, 40, 50 Jahren noch Menschen nach Rothenburg kommen werden, um sich den Heckel anzusehen. Es ist zwar ein großer Brocken, den Heckel zu kaufen, aber mit Blick darauf, was daraus entsteht, bedeutet das: Aktien zur besten Zeit gekauft.
Schneider: Solche Chancen haben Sie immer nur einmal. Das heißt, sie müssen zum bestimmten Punkt bereit sein zu springen, oder Sie müssen es halt lassen. Auch im Museumsgeschäft gehören ein unternehmerischer Weitblick und eine Risikobereitschaft dazu. Mit dem Heckel wollen wir auch ein Zeichen setzen, was mit einer konsequenten, nachhaltigen Museumsarbeit zu erreichen ist.
Ein Kunstwerk alleine kann aber kein ganzes Museum tragen.
Hirte: Wir sind sehr aktiv, veranstalten immer wieder Tagungen, produzieren Literatur, haben mehrere Kooperationspartner und sind als „bedeutendstes Rechtskundemuseum Europas” bekannt. Mittlerweile werden wir in vielen Rechtskundevorlesungen empfohlen, weltweit. Die Professoren, die akademische Community haben uns dadurch mehr oder weniger mit einem Ritterschlag versehen. Den Studierenden wird gesagt, sie sollen sich mindestens einmal unser Museum ansehen.
Schneider: Dadurch kommen auch immer wieder Anregungen von außen, was man zum Beispiel ausstellungsmäßig machen könnte. So werden wir nicht betriebsblind.
Hirte: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Denn es verändert sich ja auch etwas in der Forschungslandschaft. Als wir angefangen haben, war Mittelalter das große Thema. In den vergangenen zehn Jahren wurde aber das Strafrecht in der NS-Zeit zum großen Thema. Darauf haben wir reagiert, im Juli gab es einen Festvortrag dazu. Unser Museumsname ist zwar „Mittelalterliches Kriminalmuseum”, der Stiftungszweck deckt aber das gesamte historische deutsche Rechtswesen ab, und damit passt das.
Geben die Besucherinnen und Besucher Ihrem Weg recht?
Hirte: Wir hatten schon eine harte Zeit, etwa als zu war durch Corona, aber auch in den 2000er-Jahren, als eine Krise nach der anderen kam. Aber jetzt haben wir das Tal eigentlich durchschritten. Ich mache mir wenig Sorgen, dass in den kommenden Jahren etwas passiert.
Genau 4001,80 Euro haben Rothenburger und Gäste im Rahmen der Aktion von Kriminalmuseum und FLZ für das Aquarell von Erich Heckel schon gespendet. Seit dem letzten Zwischenstand sind also 1136,55 Euro dazugekommen. Es fehlen noch 5998,20 Euro, um „Im Taubertal“ in der Stadt behalten zu können. Wer helfen will, die restliche Summe bis 8. Januar zusammenzubekommen, kann Geld in die Schatztruhe in der Johanniterscheune werfen oder überweisen – auf das Sparkassenkonto des Museums mit der IBAN-Nummer DE45 7655 0000 0007 0689 43 (Verwendungszweck „Heckel“).
Wer helfen will, die restliche Summe bis 8. Januar zusammenzubekommen, kann Geld in die Schatztruhe in der Johanniterscheune werfen oder überweisen – auf das Sparkassenkonto des Museums mit der IBAN-Nummer DE45 7655 0000 0007 0689 43 (Verwendungszweck „Heckel“).