Ein trauriger Geselle ist es nicht, das Weinhähnchen. Auch kein Hühnergericht in Weinsoße. Vielmehr handelt es sich um eine Grillenart, die häufig auch in Weinbergen zu finden ist. Der Flachsländer Diplom-Biologe Ulrich Meßlinger gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn er von dem ursprünglich im Mittelmeerraum beheimateten Insekt erzählt.
„Das Zirpen der Weinhähnchen ist allen wohlbekannt, die es schon mal im Sommer bis in die Südalpen geschafft haben: ein liebliches ,DrüüüDrüüü-Drüüü‘, auch aus Outdoor-Abendszenen schnulziger Filme bekannt und mangels biologischen Sachverstandes oft in Western verwendet“, stellt Meßlinger fest. Inzwischen sorgen die Langfühlerschrecken auch hierzulande an gemütlichen „Abenden mit Antipasti, Pasta und Wein für einen mediterran anmutenden Background-Sound“.
Der Name „Hähnchen“ wird, erläutert Meßlinger, bei Insekten häufig vergeben, „wenn diese zirpende Geräusche erzeugen“. So seien neben der Grillenart Weinhähnchen auch noch die Käferarten Lilienhähnchen und Maiglöckchenhähnchen bekannt. Bis vor Kurzem war die Art in Deutschland auf Gegenden mit Weinbauklima beschränkt, also auf wärmebegünstigte Bereiche, vor allem entlang des Rheingrabens. Die Tiere ließen sich in Lagen unter 400 Metern Meereshöhe nieder. Doch der Klimawandel spielte dem kleinen Immigranten in die Karten.
„In den vergangenen beiden Jahrzehnten ist es zu einer Ausbreitung in Tauber- und Maintal gekommen, schließlich in die Windsheimer Bucht und an die Weinhänge des Vorderen Steigerwaldes“, zählt Meßlinger auf. „Seit wenigen Jahren überrollen die Weinhähnchen Westmittelfranken regelrecht und haben mit dem Hesselberggipfel sogar den höchsten Punkt Mittelfrankens (689 Meter über dem Meeresspiegel) erreicht.“ Höhere Durchschnittstemperaturen eröffneten ihnen neue Lebensräume, und sie vergrößerten – wie zahlreiche andere Insektenarten – allmählich ihr Areal. „Andere inzwischen heimische Beispiele solcher Wärmeindikatoren sind Feuerlibelle, Sichelschrecke und Streifenwanze.“
Aus der Gruppe der „Blütengrillen“ ist die kleine Grillenart die einzige, die in Mitteleuropa heimisch ist. Die Tiere bewohnen Hutungen, unbeweidete Trockenhänge, Straßenböschungen, Brachflächen, Bahndämme und ehemalige Abbaustellen. „Auch aus naturnahen Gärten in Stadt und Landkreis Ansbach werden sie inzwischen gemeldet“, freut sich der Insektenexperte. Sorgen macht er sich nicht wegen des Einwanderers: Es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass die Grillen anderen Tieren den Lebensraum streitig machen.
Ein lang gestreckter, schlanker und abgeflachter Körperbau zeichnet die Weinhähnchen aus, beschreibt Meßlinger. Sie sind etwa zehn bis 15 Millimeter groß, und ihre Fühler sind länger als der Körper. Bei der Nahrung sind die Grillen durchaus flexibel – sie nehmen sowohl pflanzliche als auch tierische Kost zu sich. Auf dem Speiseplan stehen neben Blütenblättern beispielsweise Blattläuse, Spinnen und Insektenlarven.
Tagsüber sind die nachtaktiven Grillen so gut wie nie zu sehen. In einem eingerollten Blatt oder lang ausgestreckt und eng an einen Pflanzenstängel geschmiegt, sind sie perfekt getarnt – zumal sie in Farbe und Form ohnehin einem dürren Grashalm ähneln. Mit Einbruch der Dunkelheit beginnen die Konzerte. Als Singwarte wählt das Weinhähnchen vorzugsweise Sträucher. In Italien wird es deshalb auch als „grillo arboricolo“ bezeichnet – als „baumbewohnende Grille“.
Das Zirpen erzeugen die Männchen, indem sie die Vorderflügel zu einem „Schalltrichter“ aufstellen und sie aneinander reiben. Bis zu 300 Meter weit ist es zu hören. Die Suche nach den kleinen Sängern ist meist vergebens, erklärt Biologe Meßlinger: Je nach Körperstellung des Insekts scheint das Zirpen aus einer anderen Richtung zu kommen. „Keine Chance für uns, die ,Sänger‘ zu finden – nur die eigenen Weibchen haben die richtige Suchstrategie.“
In fünf Stadien entwickelt sich das Weinhähnchen von der Larve zur Imago, dem erwachsenen geschlechtsreifen Insekt. Ausgewachsene Weinhähnchen sind von Juli bis Oktober unterwegs. Die Eier legt das Weibchen einzeln in markhaltigen Pflanzenstängeln ab. Deshalb kann man dem Zirpen auch nur dort genussvoll lauschen, wo Gräben, Böschungen, Waldränder, Brachflächen oder Teile von Wiesen ungemäht bleiben und den Tieren einen Lebensraum bieten, macht Meßlinger deutlich. „Nur wo Pflanzenbestände über den Winter stehen bleiben, schlüpfen im nächsten Mai bis Juni die Larven.“