In der Silvesternacht 1921/22 explodierte auf dem Dinkelsbühler Marktplatz um kurz nach Mitternacht eine Bombe. Das Attentat, bei dem rund 50 Personen zum Teil schwer verletzt wurden, galt zwei örtlichen Polizisten. Verurteilt wurden mehrere junge Männer aus Dinkelsbühl und Umgebung.
Es ist ein historisches Ereignis, von dem wohl nur einige der ältesten Einwohner Dinkelsbühls schon einmal gehört haben. Doch was sich heute vor 101 Jahren in der Innenstadt abspielte, war nichts anderes als ein rücksichtsloses Attentat, das zahlreiche Verletzte zur Folge hatte.
So schrieb die „Fränkische Zeitung“, die in der Region Westmittelfranken der Vorgänger der „Fränkischen Landeszeitung“ war, über die Ereignisse: „Die alte schöne Sitte, daß sich die Bevölkerung in der Silvesternacht auf dem Marktplatz versammelt, um den Choral ,Nun danket alle Gott‘ zu singen, wurde von einer Horde Buben zu einem entsetzlichen Attentat benützt. Kaum schlugen die Glocken die ersten Schläge der Mitternachtsstunde und kaum begann vom Stadtturm der Choral, ertönte ein fürchterlicher Knall, mitten in der Menge zeigte sich eine grünlich-blaue Flamme mit kolossaler Rauchentwicklung und vielfache Schmerzensschreie erfolgten.“
Mitten auf den Marktplatz sei „von Bubenhand“ eine Bombe geworfen worden und zur Explosion gekommen, heißt es weiter. Die Bombe sei mit Nägeln, Blechstücken und Glas gefüllt und mit einem Draht umwickelt gewesen. Etwa 50 Personen seien durch die Explosion verletzt worden, ungefähr 20 von ihnen schwer. Weiter heißt es in dem Artikel: „Anscheinend war das Attentat gegen die Schutzleute gerichtet, da sich in nächster Nähe der Explosionsstelle mehrere Schutzleute befanden. Eine Reihe von Personen, die der Mittäterschaft verdächtig sind, wurde verhaftet. Die Erregung in dem kleinen Städtchen ist allgemein.“
Wurde zunächst auch noch gemutmaßt, dass es sich bei der Explosion um einen kommunistischen Anschlag handeln könnte, wurden die genauen Hintergründe der Tat dann doch schnell deutlich: In Dinkelsbühl waren zu dieser Zeit die Polizisten Schwarz und Bieringer im Einsatz, die damals als Schutzleute bezeichnet wurden. Diese gerieten immer wieder mit einer Gruppe junger Männer aneinander, so dass diese irgendwann beschlossen, die beiden Ordnungshüter umzubringen. Bieringer und er seien bei den jüngeren Leuten in Dinkelsbühl nicht gerne gesehen, erklärte Schutzmann Schwarz später vor Gericht. Man müsse daher annehmen, dass der ganze Angriff gegen sie gerichtet war.
Im Laufe des Silvestertages 1921 eskalierte der Konflikt endgültig. Bereits am Nachmittag waren der Polizei die jungen Männer Ludwig Eber-hardt (34), August Endlein (22), Karl Mattausch (22) und August Klingler (21) aufgefallen. Diese zogen „in betrunkenem Zustande lärmend und johlend in der Stadt umher“, zitierte die „Fränkische Zeitung“ aus der Anklageschrift vom März 1922. Die Gruppe wurde mehrfach erfolglos verwarnt. Gegen 21 Uhr wurde deshalb Mattausch festgenommen und in die Arrestzelle im Rathaus gebracht.
Die übrigen jungen Männer versuchten in der Folge, Mattausch aus dem Gefängnis zu befreien. Dabei spielten sich tumultartige Szenen rund um das Rathaus ab. So heißt es in der „Fränkischen Zeitung“: „Währenddessen hat sich vor der Polizeiwache eine erhebliche Menschenmenge angesammelt, die nur zum Teil aus Neugierigen bestand, größtenteils jedoch bereit war, das Vorhaben zu unterstützen.“ Eberhardt riss sogar die Gitter der Arrestzelle weg. Die Polizisten ließen Karl Mattausch dennoch erst frei, als dessen Vater ihn abholte.
Ungeachtet der Auseinandersetzung vor der Polizeiwache, war der Anschlag auf Schwarz und Bieringer vor allem von August Klingler schon lange geplant. Wie das Gericht später feststellte, entwendete der beim Straßenbau Beschäftigte im November 1921 während der Arbeit Dynamit und Zünder und baute daraus drei Bomben. Eine davon entzündete Klingler im Beisein von Karl Mattausch am 30. Dezember 1921 im Dinkelsbühler Stadtpark. Die zweite Bombe wurde August Klingler von seinem Bruder Fritz abgenommen.
Am Silvesternachmittag verabredeten sich August Klingler, Ludwig Eberhardt sowie Karl Mattausch und dessen Bruder Georg (21) in der Gastwirtschaft „Sonne“. Gut hörbar für viele Anwesende machten sie dabei aus ihrem Vorhaben kein Geheimnis. Später am Abend tranken die Männer auch in der „Linde“. Dort hatte Klingler die Bombe bereits dabei. Wenige Augenblicke nach Mitternacht warf er sie auf dem voll besetzten Marktplatz schließlich in Richtung der Schutzleute Schwarz und Bieringer. Die mit Blechstücken, Schrauben und Glassplittern gefüllte Büchse traf Bieringer an der Brust und explodierte.
Die beiden Schutzleute und auch die übrigen Schwerverletzten überlebten das Attentat, mussten jedoch zum Teil wochenlang im Krankenhaus behandelt werden. Klingler wurde vom Ansbacher Volksgericht wegen Mordversuchs zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt. Eberhardt erhielt wegen Aufruhrs drei Jahre, Georg Mattausch ein Jahr Gefängnis. Karl Mattausch, der am Nachmittag des 31. Dezember verhaftet worden war, wurde freigesprochen.