Steil geht es die sichelförmigen Sanddünen hinauf und hinab. Bis zu hundert Meter sind sie hoch. Die Sonne knallt vom Himmel. Das Gehen ist anstrengend. Tief versinken die Wanderschuhe im goldfarbenen Sand. Doch auf den Kämmen der Sandberge bei Copiapó im Norden Chiles belohnen Panoramablicke auf eine endlos wirkende Dünenlandschaft. Südamerikas Antwort auf die Sahara.
Anschaulich wird klar, warum dieser südliche Teil der Atacama-Wüste auch das „Mar de Dunas“ genannt wird - wegen seines gigantischen „Dünenmeers“ von rund 335 Quadratkilometern Ausdehnung. Mit 550 Metern ist „El Medanoso“ eine der höchsten Dünen des Kontinents. Hier brettern Freerider die steilen Hänge mit Snowboards runter, heizen Adrenalin-Junkies mit Allradautos durch die Sandberge.
Auf unserer Wüstenwanderung dominieren hingegen Stille, Einsamkeit und Naturschönheit. Die vom Wind geformten Wellenmuster in den Dünen könnten perfekter kaum sein. Die allermeisten Atacama-Touristen zieht es in den Norden der Wüste, nach San Pedro de Atacama. Das ist zwar ähnlich spektakulär. Doch hier, etwa 800 Kilometer weiter südlich, geht es viel ruhiger zu.
Reiseführer Roberto Vergara zeigt uns im Sand Spuren von Skorpionen, Schlangen und Eidechsen. Nach drei Stunden haben wir unser Ziel erreicht. Hoch oben auf einer breiten Düne hat Gabriela Torres vor einem Geländewagen einen kleinen Tisch mit lokalen Spezialitäten aufgebaut.
Die Köchin ist in der Atacama-Region bekannt. Sie hat viele vergessene Rezepte alter Wüstenstämme aus der Vergessenheit geholt und die indigene Regionalküche auf ein neues Niveau gehoben. Regelmäßig begleitet sie Wüstentouren von Robertos Reiseagentur.
Heute gibt es Meeresfrüchte - kein Widerspruch in der Atacama, denn das Dünenmeer grenzt an den Pazifik: frische Austern, chilenisches Ceviche mit Quinoa und Pastel de Jaiba, eine Art Krabben-Quiche. Mit einem süß-sauren Pisco-Sour-Cocktail in der Hand sitzen wir im Sand und schauen zu, wie die untergehende Sonne die Sandwelt in rotgoldenes Licht taucht.
Der Duft des Essens hat einen Wüstenfuchs angelockt, der sich bis auf wenige Meter herantraut. Die Atacama sei der trockenste Ort der Erde jenseits der Polargebiete, sagt Guide Roberto. Erstaunlich, dass nicht nur Tiere, sondern auch 200 endemische Pflanzenarten angesichts der Wasserarmut existieren können.
Mit durchschnittlich nur 0,5 Millimetern Niederschlag im Jahr fällt in der Atacama fünfzigmal weniger Regen als im kalifornischen Death Valley. In einigen Regionen wurden seit Beginn der Aufzeichnungen noch nie Niederschläge gemessen.
Diese meteorologische Besonderheit ergebe sich durch die Lage der Wüste, so Roberto. Auf 1200 Kilometern Länge ist sie zwischen den Anden im Osten und der südamerikanischen Ozeanküste im Westen eingeengt und dabei nur maximal 160 Kilometer breit. Während es die feuchte Luft aus dem Amazonasbecken nicht über das 6000 Meter hohe Gebirge schafft, verhindert an der Küste der kalte Humboldtstrom aus der Antarktis die Bildung von Regenwolken.
Trotz allem gab es immer Leben in der Wüste. Früh siedelten sich Menschen an, vor allem im Hochland. Hier ist die Atacama kein Sandmeer mehr, sondern felsiger und öder. Vor Jahrtausenden machten sich indigene Völker wie die Atacameños, Aymara oder Chinchorros breit. Im 15. Jahrhundert war die Atacama Teil des Inkareichs, an den heute ein Inka-Trail quer durch die Region erinnert. Im Tal Finca de Chañaral zeigt uns Roberto Felsmalereien der Wüstenstämme.
Die spanischen Kolonialherren interessierten sich weniger für Wüste. Dafür umso mehr Chile, Peru und Bolivien, die nach ihrer Unabhängigkeit im Salpeterkrieg (1879-1884) um das Gebiet und die wertvollen Bodenschätze in der vulkanisch sehr aktiven Region kämpften: Gold, Silber, Kupfer und Lithium werden heute noch in Minen im Süden der Atacama gewonnen. Auch Salpeter, dessen Säure früher zur Herstellung von Schießpulver verwendet wurde.
Einige dürften sich noch an das Unglück in der Mine San José bei Copiapó von 2010 erinnern, bei der 33 Bergleute fast drei Monate verschüttet waren. Alle wurden lebend geborgen, und weltweit sprachen die Medien vom „Wunder in der Atacama“. Hollywood verfilmte die Geschichte mit Antonio Banderas und Juliette Binoche als „69 Tage Hoffnung“ (Originaltitel „The 33“).
Wer Realität und Fiktion in der Atacama nachspüren möchte, schließt sich Fidel Arcancibia an. Der 58-Jährige, der schon mit acht Jahren anfing, unter Tage zu schuften, führt Touristen zu stillgelegten Minen rund um das Goldgräberstädtchen Inca de Oro. Er zeigt, wie man arbeitete, erklärt Mineralien und Abbautechniken im Minengebiet der Küstenstadt Chañaral. Und lädt auch in sein Restaurant, wo er Ziegeneintopf oder Charqui-Trockenfleisch mit Weizenpüree als „Minenküche“ serviert.
Wir übernachten in einem kleinen Bergdorf namens Agua Dulce beim indigenen Stamm der Kolla. Zwölf Familien leben hier umgeben von majestätischen Bergen. Iris Suarez zeigt uns Kräuter, die sie zum Heilen nutzt. Francisco Cortez ist stolz auf seine Ziegenzucht. Die Dorfbewohner erzählen von Traditionen, ihrer aussterbenden Sprache.
Und Astro-Tourismusguide Carlos Araya, selbst kein Stammesangehöriger, erläutert, wie wichtig den Kolla der Sternenhimmel für ihre Interpretationen war. Dies ist aber auch kein Wunder. Die Atacama liegt sehr hoch, Fremdlicht gibt es auch heute so gut wie gar nicht. „Wir haben 320 wolkenfreie Nächte im Jahr und keine größeren Städte in der Nähe, weshalb der Himmel hier stockdunkel ist“, sagt Araya.
Auch für nachtliebende Touris ist das ideal: Nur von der Südhalbkugel aus sieht man die berühmten Magellan-Wolken, die beiden hellsten Begleitgalaxien der Milchstraße. Und von nirgends so gut wie von den Höhen der Atacama aus.
Mit seinem mobilen Profi-Teleskop zeigt uns Araya auch Sternbilder, Planeten und den Mond aus ungewohnter Perspektive. „Es ist der ideale Ort, um den Sternenhimmel zu beobachten“. Nicht umsonst befänden sich die größten Sternwarten der Welt in der Region.
Agua Dulce liegt schon auf 2000 Metern Höhe. Doch am nächsten Morgen geht es mit dem Geländewagen immer weiter, auf über 4000 Meter. Die Atacama-Hochwüste ist wohl die bizarrste und spektakulärste Landschaft des Landes. Aufgrund der unterschiedlichen Mineralien leuchten die Berge in Nuancen von Braun und Ocker über Orange und Rot bis zu Türkis und Gelb.
Und das Farbspektakel geht weiter: Tiefes Blau eines wolkenlosen Himmels steht im krassen Kontrast zum blendenden Weiß der Salzebenen. Kakteenfelder, Canyons, Geysire, Hochmoore und je nach vorherrschendem Mineral mal in Rot, mal in Türkis leuchtende Lagunen in der Salzwüste Salar de Pedernales - aus dem Staunen kommt man kaum raus.
Die Laguna Verde, ein krass-grüner See, liegt mit 4200 Meter noch höher. In den natürlichen Thermalquellen daneben, 35 Grad heiß, kann man in feuriger Hochgebirgskulisse baden. Der Blick auf den Ojos del Salado, der mit 6893 Metern höchste aktive Vulkan der Erde, ist unverstellt.
Und er ist längst nicht der einzige Sechstausender in der Region, die man deshalb das „Dach der Anden“ nennt. Mit dem Geländewagen durchqueren wir kleine Flüsse und kommen an Wasserfällen vorbei, die sich aus dem Schmelzwasser der verschneiten Sechstausender speisen.
So unwirtlich diese Gegend auch erscheinen mag, der Artenreichtum ist groß und hochinteressant: Am Salzsee Negro Francisco im Nationalpark Nevado de Tres Cruces sehen wir am nächsten Tag riesige Flamingo-Kolonien. Im Gebiet der Salzgewässer des 590 Quadratkilometer großen Schutzgebietes gibt es unzählige Vogelarten, grasen Herden von Guanacos und Vicuñas - höckerlose Kamelarten - in der kargen Mondlandschaft.
Actionreich mit tierischen Begleitern wird es zum Ende des Wüstentrips. Die Atacama reicht bis zum Pazifik - und so sehen wir nicht nur Seelöwen, sondern paddeln in Kajaks mit Humboldtpinguinen im Meer nahe dem Badeort Bahía Inglesa um die Wette.
„Die Tiere kommen mit dem antarktischen Humboldtstrom bis hier in den Norden und sind teils sehr verspielt“, sagt Kajak-Guide Sebastian Urrejola während eines Ausflugs zu vorgelagerten Inselchen, auf denen auch Kormorane und Pelikane nisten. Nur wenige Meter vor unseren Booten tummeln sich auch Delfine und Chungungos im Meer, chilenische Küstenfischotter.
Was hier vor Millionen von Jahren an Meeresdinosauriern herumschwamm, kann man in der Bucht im Freilichtmuseum Sitio Paleontológico Los Dedos bestaunen. Doch erst einmal heißt es nun mit einem Pisco Sour am Strand entspannen.
Türkisblaues Wasser, weißer Sand, Karibikflair. Der Strand von Bahía Inglesa gehört nach denen von Valparaíso zu den schönsten des Landes. Und so kommt auch Beach-Urlaub während eines chilenischen Wüstentrips nicht zu kurz.
Reiseziel: Die Atacama-Wüste befindet sich im Norden Chiles zwischen dem Anden-Gebirge und der Pazifikküste.
Anreise: Flugverbindungen nach Santiago de Chile gibt es etwa von Frankfurt/Main, München oder Berlin aus. Weiterflug nach Copiapó.
Einreise: Für die Einreise braucht man einen noch mindestens sechs Monate gültigen Reisepass. Bei Reisen von bis zu 90 Tagen ist kein Visum nötig.
Reisezeit: Die Atacama-Wüste lässt sich ganzjährig bereisen. Ideal sind aber die kühleren Monate Mai bis Oktober.
Gesundheitshinweise: Impfungen sind nicht vorgeschrieben.
Währung: Ein Euro ist rund 1007 chilenische Pesos wert (Stand: 08.05.2024)
Zeitverschiebung: Im deutschen Sommer beträgt die Zeitdifferenz sechs Stunden, im Winter vier Stunden.
Veranstalter: Ab Copiapó bieten Unternehmen wie Copayapu Travel, Chillitrip oder Atacamensis mehrtägige Touren durch die Atacama an.
Weitere Auskünfte: www.chile.travel/de
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