Der White-Lotus-Effekt: „Set-Jetter“ als Segen oder Fluch? | FLZ.de

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Veröffentlicht am 22.02.2025 08:03

Der White-Lotus-Effekt: „Set-Jetter“ als Segen oder Fluch?

Koh Samui lockt mit herrlichen Buchten und spektakulären Sonnenuntergängen - hat aber wegen des Tourismus bereits jetzt viele Probleme. (Archivbild) (Foto: Carola Frentzen/dpa)
Koh Samui lockt mit herrlichen Buchten und spektakulären Sonnenuntergängen - hat aber wegen des Tourismus bereits jetzt viele Probleme. (Archivbild) (Foto: Carola Frentzen/dpa)
Koh Samui lockt mit herrlichen Buchten und spektakulären Sonnenuntergängen - hat aber wegen des Tourismus bereits jetzt viele Probleme. (Archivbild) (Foto: Carola Frentzen/dpa)

Der Jubel in Thailand war groß, als das Königreich zum Drehort für die dritte Staffel der preisgekrönten HBO-Serie „The White Lotus“ auserkoren wurde. Nach Hawaii und Sizilien stehen dieses Mal Locations auf der Insel Koh Samui im Mittelpunkt der bissigen Satire um Wohlstandsverwahrloste im Luxusurlaub. Allen voran das mondäne Four Seasons Resort, wo Gäste für ein Doppelzimmer mindestens 2.000 Euro pro Nacht hinblättern. Weitere Drehorte waren Phuket und Bangkok. 

Nicht erst seit dem Streaming-Start am 17. Februar (in Deutschland bei Sky und dem Streamingdienst Wow) freuen sich Regierung, Reiseveranstalter und Hoteliers auf scharenweise „Set-Jetter“, die erfahrungsgemäß schon bald zu den Drehorten strömen werden. Der Trend, Schauplätze der eigenen Lieblingsserie oder eines Blockbusters zu besuchen, ist so angesagt wie nie. 

Online-Anfragen in die Höhe geschossen 

Auf Maui und Sizilien stieg die Gästezahl nach den ersten beiden Staffeln der von Comedy-Profi Mike White erdachten Serie jeweils um 20 Prozent. Allein das Four Seasons Resort Maui, Schauplatz der ersten Staffel, bekam nach der Ausstrahlung rund 400 Prozent mehr Anfragen. „Ich kann nur hoffen, dass die Dynamik in Thailand dieselbe sein wird“, sagte Chompu Marusachot, Direktor des New Yorker Büros der thailändischen Tourismusbehörde TAT. Passend hat die Behörde bereits eine eigene Webseite für Set-Jetter eingerichtet. 

TAT muss sich wohl keine Sorgen machen: Bei Online-Reisebüros wie Expedia oder Hotels.com schossen die Suchanfragen zu Koh Samui (aber auch zu Phuket und Bangkok) gleich nach Bekanntwerden von Thailand als Setting der jüngsten Staffel enorm in die Höhe, wie das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ schrieb. Laut „Insider Travel Report“ ist gerade bei Deutschen das Interesse groß.

Die thailändische Tourismusindustrie reibt sich die Hände. Bei vielen Inselbewohnern wächst hingegen die Sorge vor den Folgen des Massentourismus. Denn Koh Samui hat schon jetzt wegen seiner Beliebtheit mehr als ein Problem am Hals. 

In der Trockenzeit herrscht wegen des Andrangs, der nach der Corona-Pandemie massiv zugenommen hat, ständiger Wassermangel. Weil der Nachschub vom Festland längst nicht mehr reicht, gibt es allerorts illegale Grundwasserbohrungen. Anwohner erzählen, die Insel sehe wegen der vielen Löcher aus „wie ein Schweizer Käse“. 

Zudem ist die Abfallentsorgung für so viele Menschen auf so kleinem Raum eine Riesenaufgabe. „Es gibt hier keine Müllverbrennungsanlage, alles muss aufs Festland gebracht werden“, sagt eine Deutsche, die seit drei Jahren auf der Insel lebt. Gleichzeitig gibt es immer mehr (größtenteils illegale) Müllhalden, die oft nur wenige Meter von den paradiesischen Fünf-Sterne-Hotels entfernt vor sich hin modern.

Besonders verärgert sind die Bewohnerinnen und Bewohner aber über die ständig verstopften Straßen, weil immer mehr Urlauber mit Scootern oder Autos über die Insel düsen oder mit Minibussen auf Tour sind. „Wer pünktlich bei der Arbeit sein will, muss mittlerweile in aller Frühe losfahren“, seufzt die Deutsche. 

Vom Tropenparadies zum Massenziel 

Auch die Hotelkapazitäten sind größtenteils erschöpft, teilweise haben deshalb die Preise selbst für kleinere Unterkünfte bereits enorm angezogen. Thailand werde sozusagen „zu Tode geliebt“, brachte es ein User in sozialen Medien auf den Punkt. Und das war vor dem White-Lotus-Effekt. Viele fragten sich, wo das noch hinführen soll, berichten Einwohner. Schon jetzt sei die Insel „übervoll“.

Dabei war das 25 Kilometer lange und 21 Kilometer breite Eiland im Golf von Thailand bis in die 1980er Jahre noch ein absoluter Geheimtipp. Ein Tropenparadies wie aus dem Bilderbuch mit Traumstränden, Kokospalmen und unberührten Regenwäldern, das zunächst Rucksacktouristen für sich entdeckten. Nachdem 1989 der Flughafen der Insel eröffnet hatte, nahm der Besucherandrang unaufhaltsam zu. Im vergangenen Jahr strömten 2,7 Millionen Urlauber nach Koh Samui - bei einer Einwohnerzahl von 50.000.

Große Unternehmen sind derweil bereits auf den „White-Lotus“-Zug aufgesprungen und bieten ihren Kunden spezielle Touren zu den Drehorten an. Vom 12. bis 15. März können Set-Jetter etwa mit American Express „The White Lotus Thailand Experience“ erleben, samt Aufenthalt im Four Seasons Koh Samui, Spa-Behandlungen de luxe und von der Serie inspirierten Dinners. Das Four Seasons Hotel Bangkok führte kürzlich den „White Lotus Afternoon Tea“ ein.

Fans besuchen Drehorte weltweit 

Wie beliebt Set-Jetting mittlerweile ist, zeigt ein Blick ins Netz: Viele Seiten bieten Serienfans Informationen und Touren zu den weltweit beliebtesten Zielen, angefangen bei Neuseeland („Der Herr der Ringe“, „Der Hobbit“) über Dubrovnik in Kroatien („Game of Thrones“) bis nach Großbritannien („Bridgerton“ und „Downtown Abbey“). 

Thailand erlebte schon vor 25 Jahren dank Danny Boyles Hippie-Blockbuster „The Beach“, wie eine Film-Location zum Massenziel wird. In dem Abenteuerdrama mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle ist die titelgebende Maya Bay auf Koh Phi Phi noch völlig unberührt. 

Dann aber strömten Filmfans in Scharen zu der herrlichen, von Felsen umrahmten Bucht. Bald wurde das Postkartenidyll zum überfüllten Alptraum: Dutzende Boote warfen jeden Tag ihre Anker ins einst intakte Riff, die Korallen gingen kaputt, die Schwarzspitzenhaie verschwanden, der Müll türmte sich. 

In sozialen Medien ist der drohende Ansturm auf Koh Samui ebenso Thema wie bei den Inselbewohnern. „Ich bin seit 1989 hier und habe die zunehmende Zerstörung der Ressourcen und Infrastruktur Thailands durch die Tourismusindustrie miterlebt. Es bricht einem das Herz“, schrieb ein User unter einem Bericht zum Serienstart. Ein anderer kritisierte, wie überall auf der Welt gehe es in Thailand mittlerweile nur noch ums Geld. Und ein Dritter brachte das Dilemma in einem Satz auf den Punkt: „Koh Samui, viel Glück mit dem White-Lotus-Effekt.“

© dpa-infocom, dpa:250222-930-382844/1


Von dpa
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