Die FDP setzt weiter auf ihr Zugpferd Christian Lindner: Der Bundesparteitag in Berlin hat den 44-Jährigen am Freitag mit 88 Prozent der Stimmen als Bundesvorsitzenden bestätigt. Das war etwas schlechter als bei der Wahl vor zwei Jahren, als er auf 93 Prozent gekommen war.
Lindner forderte zuvor in einer 90-minütigen Rede die Koalitionspartner SPD und Grüne zu Sparsamkeit auf, um die Schuldenbremse einzuhalten und die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Er bekräftigte die Positionen der Liberalen in Streitfragen der Ampel, zum Beispiel bei der Kindergrundsicherung. Die Vize-Vorsitzende Nicola Beer nannte die FDP zur Eröffnung des bis Sonntag dauernden Parteitags das „liberale Korrektiv“ der Ampel.
Auf Lindner entfielen 511 der abgegebenen 579 Stimmen, 51 Delegierte stimmten mit Nein, 17 enthielten sich. Die Delegierten wählten anschließend Wolfgang Kubicki, Bettina Stark-Watzinger und Johannes Vogel zu Vizevorsitzenden.
Lindner wies in seiner Parteitagsrede darauf hin, dass die Steuereinnahmen im kommenden Jahr voraussichtlich erstmals auf mehr als eine Billion Euro steigen. Und trotzdem reiche das Geld nicht, um die bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen zu finanzieren. „Die Politik muss neu lernen, mit dem Geld auszukommen, das die Bürgerinnen und Bürger ihr zur Verfügung stellen“, sagte Lindner. Sparsamkeit sei auch wichtig für die Bekämpfung der hohen Inflation. Diese sei ein „zähes Biest“, ihre Bekämpfung müsse oberste Priorität haben.
Lindner forderte die Koalitionspartner auf, geplante Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen und nicht Notwendiges zu streichen, so wie er es selbst mit einem geplanten Anbau für sein Ministerium getan habe. Dann müsse man Prioritäten setzen, wo es unabweisbare Notwendigkeiten gebe, etwa bei der Bundeswehr. „Und dann drittens feststellen, dass manches vielleicht wünschenswert ist, aber mindestens gegenwärtig nicht finanzierbar ist“, sagte Lindner.
Der FDP-Chef wies mit Blick auf das Streitthema Kindergrundsicherung darauf hin, dass bereits vieles für Kinder getan worden sei. Stünde er bei knappen Mitteln vor der Wahl, ob es nochmals zusätzliche Transferzahlungen oder aber konkrete Investitionen in Bildung geben solle, dann würde er für eine Stärkung der Bildung plädieren. „Denn nichts schafft mehr Fairness, als dass nicht die Herkunft aus dem Elternhaus entscheidet über den Lebensweg, sondern Fleiß, Talent und die eigenen Lebensentscheidungen aufgrund von Bildung.“
Lindner hob als FDP-Erfolg hervor, dass es in der Koalition gelungen sei, auch 144 Autobahnprojekte mit einer Länge von gut 1000 Kilometern in die Planungsbeschleunigung aufzunehmen. Es gehe darum, Engpässe zu schließen und Stau-Brennpunkte zu beseitigen. „Das ist in überragenden öffentlichem Interesse, weil Logistikketten in unserem Land funktionieren müssen und weil nichts schlechter für den Klimaschutz ist, als dass Benzin und Diesel im Stau verbrannt wird.“
Der FDP-Chef nahm seinen von den Grünen und von Klimaschützern stark kritisierten Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) in Schutz. Ihm wird vorgeworfen, im Verkehrsbereich die Klimaziele zu reißen. „Volker Wissing macht konkret mehr für den Klimaschutz als die Forderungen der Letzten Generation und der Klimakleber.“
Diese griff Lindner wegen ihrer Straßenblockaden scharf an. Dies sei nichts anderes „als physische Gewalt“. Wer eine andere Politik wolle, der könne in die Politik gehen und Mehrheiten für seine Positionen erwerben. „Tempolimit und 9-Euro-Ticket, das sind ganz kleine Ideen - und dafür der große Ärger“, sagte Lindner. „Umgekehrt wäre besser.“
Klimaaktivisten von Fridays for Future und der Letzten Generation protestierten am Freitag parallel zum Parteitag mit Demonstrationszügen gezielt gegen die Umweltpolitik der FDP und speziell von Wissing.
Lindner sagte der von Russland angegriffenen Ukraine weitere Solidarität und Unterstützung zu. „Wir leisten unseren Beitrag dazu, dass die Durchhaltefähigkeit der Ukraine in diesem Krieg dauerhaft größer bleibt als die Bösartigkeit, die von (Russlands Präsident Wladimir) Putin ausgeht“, sagte er. „Wer in dieser Phase der Geschichte nicht an der Seite der Ukraine steht, der steht auf der falschen Seite der Geschichte.“
Lindner forderte, den Angreifer Russland politisch, rechtlich und wirtschaftlich vollständig zu isolieren - „weil es kein business as usual mit denen geben kann, die das Völkerrecht brechen“.
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