Auf dem Weg zur Klimaneutralität will die EU-Kommission bereits bis 2040 einen Großteil der Treibhausgasemissionen in der EU reduzieren. Die Behörde stellte im Straßburger Europaparlament eine entsprechende Empfehlung für ein Klimaziel vor. Es sieht vor, die Treibhausgasemissionen bis zu diesem Jahr um mindestens 90 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken.
„Wir haben gerade den heißesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen hinter uns, und wir haben mit eigenen Augen gesehen, welche Zerstörungen der Klimawandel leider zunehmend in das Leben der Menschen bringt“, sagte EU-Umweltkommissar Wopke Hoekstra im Parlament. Damit verbunden seien auch zunehmende wirtschaftliche Kosten. Es sei von enormer Bedeutung, fest auf zwei Beinen zu stehen: Das eine sei der Klimaschutz, das andere eine starke und robuste Wirtschaft.
Als Sektoren, die Treibhausgase einsparen können, nennt die Kommission etwa die Industrie, der Verkehr und die Landwirtschaft. Dabei regte sich deutliche Kritik daran, dass die Landwirtschaft allerdings zu sehr geschont werde.
In einem früheren Entwurf der Empfehlung der EU-Kommission war unter anderem noch die Rede davon, dass es möglich sei, in der Landwirtschaft Treibhausgasemissionen abseits von CO2 um mindestens 30 Prozent bis 2040 zu reduzieren. Zu Treibhausgasen abseits von CO2 zählt etwa Methan. Der niederländische Grünen-Politiker Bas Eickhout warf der Kommission vor, die Landwirtschaft zu sehr zu schonen. „Sie wissen, dass wenn man nicht über die Landwirtschaft spricht, das keine Probleme löst“, sagte er am Dienstag im Europaparlament.
Das Ziel für 2040 ist kein Gesetzesvorschlag, sondern zunächst eine Empfehlung. Nach den Europawahlen Anfang Juni müsste die nächste EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag für die Festlegung des Klimaziels für 2040 vorlegen, damit das Ziel verbindlich wird.
Der Vorschlag sieht neben einem Ausbau erneuerbarer Energien auch eine Strategie für industrielles Kohlenstoffmanagement vor. Dabei sollen etwa CCS-Technologien vorangetrieben werden, mit denen CO2 gespeichert werden kann. Die Methode ist umstritten. „Die Technologien für künstliche CO2-Abscheidungen sind im großen Stil immer noch nicht marktreif. Fragen der CO2-Endlagerung sind ungelöst“, teilte etwa die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt mit.
CCS steht als englische Abkürzung für „Carbon Dioxide Capture and Storage“. Gemeint ist die Abscheidung und unterirdische Speicherung von Kohlendioxid (CO2), das beispielsweise in Industrieanlagen und bei der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle entsteht. Mit energieintensiven Verfahren wird das Treibhausgas eingefangen, unter Druck verflüssigt und dann etwa in ehemaligen Gas- und Erdöllagerstätten, in salzwasserhaltigem Gestein oder in den Meeresuntergrund gepresst und eingelagert. Das soll verhindern, dass das CO2 in die Atmosphäre gelangt und die Erderwärmung beschleunigt.
Harte Kritik erntete die Kommission für ihr Klimaziel von der AfD im Europaparlament. Die umweltpolitische Sprecherin der Partei, Sylvia Limmer, kommentierte die Empfehlung der Kommission als „der dümmste anzunehmende Wirtschaftsunfall in der Geschichte der EU“. Burkhardt kritisierte, das Klimaziel setze zu sehr darauf, dass Emissionen in Zukunft durch natürliche und technische CO2-Entnahmen kompensiert würden. Michael Bloss von den Grünen bezeichnete das 90-Prozent-Ziel als Untergrenze von dem, was wissenschaftlich notwendig sei. „Für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik muss die Europäische Union mindestens 95 Prozent CO2-Reduktion bis zum Jahr 2040 erreichen.“
Bislang gibt es die festgeschriebenen Ziele in der EU, die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken und bis 2050 klimaneutral zu werden. Dafür soll vor allem das Gesetzespaket „Fit for 55“ unter dem Dach des sogenannten Green Deal („Grüner Deal“) sorgen. Die Strategie umfasst Maßnahmen in verschiedenen Bereichen wie Energie, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft. Ein Zwischenziel für 2040 gab es bislang nicht.
Der Wissenschaftliche Beirat hatte sich im Juni dafür ausgesprochen, die EU-Emissionen bis 2040 im Vergleich zu 1990 um 90 bis 95 Prozent zu verringern. Diese Reduktion sei entscheidend, um die Klimarisiken abzumildern. In ihrem jüngsten Bericht schrieben die Wissenschaftler Mitte des Monats, für das Erreichen der EU-Klimaziele müsse mehr getan werden. Zwar erkannten sie das Potenzial des Fit-for-55-Pakets an. Zusätzliche Maßnahmen seien jedoch unerlässlich.
Auch Deutschland hat sich bereits Klimaziele gesetzt – hinkt diesen allerdings hinterher. Bis zum Jahr 2030 sollen die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Jahr 1990 um mindestens 65 Prozent sinken, bis zum Jahr 2040 um mindestens 88 Prozent. Bis 2045 soll Treibhausgasneutralität erreicht werden: Dann soll ein Gleichgewicht zwischen Treibhausgas-Emissionen und deren Abbau herrschen.
Dafür ist ein gewaltiger Umbau der Wirtschaft notwendig. Die Bundesregierung fördert zum Beispiel den Wandel in der Stahlindustrie, die viel CO2 ausstößt, mit Milliardensummen. Der Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleverbrennung soll um acht Jahre auf 2030 vorgezogen werden, das ist aber noch nicht sicher.
Im vergangenen Sommer verabschiedete das Bundeskabinett ein Klimaschutzpaket mit einem Klimaschutzprogramm bis 2030. Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) sagte damals, die Klimaschutzlücke bis 2030, welche die Ampel von der Vorgängerregierung geerbt habe, könne damit um bis zu 80 Prozent geschlossen werden. Vor allem die Sektoren Gebäude und Verkehr aber reißen regelmäßig Vorgaben zum CO2-Ausstoß. Eine geplante Reform des Klimaschutzgesetzes – dem zentralen Gesetz zu einer CO2-Minderung – ist heftig umstritten. Umweltverbände warnen, Verantwortlichkeiten von Ressorts wie dem Verkehrsministerium würden verwässert.
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