Koalition berät am Samstag über neue Entlastungen | FLZ.de

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Veröffentlicht am 02.09.2022 07:00

Koalition berät am Samstag über neue Entlastungen

Bereits am Samstag wird über ein neues Entlastungspaket beraten. (Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa)
Bereits am Samstag wird über ein neues Entlastungspaket beraten. (Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa)
Bereits am Samstag wird über ein neues Entlastungspaket beraten. (Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa)

Nach wochenlangen Debatten sollen die Bürgerinnen und Bürger Klarheit über weitere Entlastungen wegen der hohen Energiepreise bekommen. An diesem Samstag kommen dafür die Koalitionsspitzen bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu entscheidenden Beratungen zusammen. Die Gewerkschaft Verdi drohte mit deutschlandweiten Protesten für den Fall unzureichender Entlastungen. Die Union forderte die Ampel zu klaren Ansagen auf.

CDU-Chef Friedrich Merz sagte auf einer Klausur der Unions-Fraktionsspitze im oberbayerischen Murnau: „Wir erwarten, dass jetzt die Bundesregierung endlich sagt, wie sie denn in diese nächsten Wochen und Monate das Land führen will.“ Verdi-Chef Frank Werneke teilte mit, man bereite mit anderen Gewerkschaften und Sozialverbänden auch Demonstrationen im Laufe des Herbstes vor. „Die werden dann notwendig, wenn die Bundesregierung die Bürgerinnen und Bürger nicht ausreichend entlastet“, sagte Werneke der „Augsburger Allgemeinen“. Auch Linke und AfD kündigten Proteste an.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich schloss sich dem von Finanzminister Christian Lindner (FDP) ausgegebenen Ziel an, ein „wuchtiges Paket“ zu beschließen. „Das muss dabei bleiben“, sagte Mützenich auf einer Klausurtagung seiner Fraktion in Dresden. Einstimmig beschlossen die SPD-Abgeordneten einen Katalog an Forderungen zur Entlastung - unter anderem Direktzahlungen, eine Preisbremse für den Grundbedarf an Energie und ein bundesweites 49-Euro-Ticket.

Verdi-Chef Werneke fordert für das laufende Jahr „noch einmal 20 bis 30 Milliarden Euro“ zusätzlich. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht im Bundeshaushalt für dieses Jahr nur noch Spielräume im einstelligen Milliardenbereich für das Paket. Das Geld könne er unter anderem zusammenkratzen, weil die Steuereinnahmen besser ausfielen als erwartet, meinte der FDP-Politiker. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge entgegnete: „Das wird mit Sicherheit nicht im einstelligen Milliardenbereich sein, worauf sich die Koalition dort verständigen sollte.“ Die bisherigen zwei Pakete hatten ein Volumen von zusammen rund 30 Milliarden Euro.

Die Grünen setzen auf den Abbau klimaschädlicher Subventionen, eine Neuregelung der Dienstwagen-Besteuerung und eine Steuer auf übermäßige Unternehmensgewinne. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kann sich unter Umständen auch einen Nachtragshaushalt vorstellen. Für die Steuerschätzerin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Kristina van Deuverden, deutet sich an, dass viele Unternehmen ihre Gewinnerwartungen wegen Corona zu weit nach unten korrigiert hatten - und nun Steuern nachzahlen.

Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende sollen auf jeden Fall Unterstützung bekommen - denn eine Kritik lautete, diese bekämen bisher zu wenig. So profitieren vom Energiegeld in Höhe von 300 Euro aus dem zweiten Entlastungspaket nur Erwerbstätige. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (Freitag): „Wir werden etwas für Rentnerinnen, Rentner und Studierende tun und für viele die Steuern senken.“ Auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) will sich für Studierende einsetzen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr möchte, dass Einmalzahlungen diesmal insbesondere Rentner und Studierende erreichen.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will eine Nachfolgelösung erreichen, auch wenn die teurer sein wird als 9 Euro im Monat. Dazu will er noch Gespräche mit den Ländern über die Aufteilung der Kosten mit dem Bund führen. Die SPD ist für ein bundesweit gültiges Nahverkehrsticket für 49 Euro im Monat. Das wollen die Grünen auch, ein Regionalticket sollte nach ihren Vorstellungen 29 Euro kosten.

Die SPD-Fraktion nimmt insbesondere Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen in den Blick. Die Grünen betonen, ihnen gehe es um zielgerichtete Maßnahmen. Die Fraktionsspitze schlägt Hilfen für Grundsicherungsempfänger, Familien, Menschen mit kleinen Einkommen und Renten vor. Die FDP will beim dritten Entlastungspaket vor allem Erleichterungen für die arbeitende Bevölkerung durchsetzen.

Tatsächlich wünscht sich laut ARD-Deutschlandtrend knapp jeder zweite Wahlberechtigte Entlastungen auch für die Mittelschicht. 45 Prozent sprachen sich in der repräsentativen Umfrage von Infratest Dimap dafür aus. 29 Prozent meinten, Entlastungen sollte es nur für Menschen mit niedrigem Einkommen geben. Gut jeder Fünfte (22 Prozent) war der Ansicht, Entlastungen sollten allen Haushalten zugutekommen.

Die Entlastung mittlerer Einkommen fand eine relative Mehrheit unter den Anhängern aller Regierungsparteien sowie der Oppositionsparteien CDU/CSU und AfD. Parteipolitische Unterschiede zeigten sich vor allem bei der Frage, ob nur niedrige oder alle Einkommen entlastet werden sollen: Während 43 Prozent der Grünen-Anhänger Entlastungen nur für Menschen mit niedrigen Einkommen forderten, waren es bei den FDP-Anhängern nur 20 Prozent.

Selbst wenn SPD, Grüne und FDP wirklich ein „wuchtiges Paket“ schnüren, wie es Lindner und Mützenich wollen, dürfte die große Rechnerei losgehen, die Arbeit an Gesetzen und Fristen. Gut möglich, dass die Koalitionsspitzen noch einmal zusammenkommen.

Offen ist, ob der konzertierten Aktion von Kanzler Scholz mit DGB-Chefin Yasmin Fahimi und Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger nach dem erwarteten Entlastungspaket noch viel zu regeln bleibt. Mitte September trifft man sich zum zweiten Mal. Aber eines ist klar: Inflation, stockende Lieferketten und der bedrohliche Arbeits- und Fachkräftemangel schaffen ein Krisenszenario, das nicht mit einem Koalitionsausschuss behoben sein dürfte. Und mit dem Bürgergeld haben es die Koalitionsspitzen beim Thema Entlastung mit einer sozialen Großreform zu tun, bei der es nicht nur auf die Höhe der Regelsätze ankommt. Beobachter erwarten, dass auch nach Samstag genug Redebedarf bleibt.

© dpa-infocom, dpa:220901-99-600065/8

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