„From the dirt we rise“ steht auf einem riesigen Plakat, „aus dem Dreck steigen wir auf“. Bei der Premiere des Diespecker Drahtesel-Festivals am Samstag war dieses zugegeben etwas bizarr anmutende Motto durchaus wörtlich zu verstehen. Amateure und Profis schwebten mit speziellen Fahrrädern – BMX – durch die Lüfte und zeigten spektakuläre Flüge. Und ja, dabei fiel so mancher in den Dreck.
„Die Arme leiden schon leicht, hab ich das Gefühl“, sagt eine Zuschauerin zu ihrer Sitznachbarin. Ja, wer cool sein will, muss leiden. Blutüberströmte Ellenbogen und blaue Flecken sind hier wie der Anker für Tattoo-Fans: Standard und Statussymbol. Wer in den staubenden Dreck fliegt, tja, der steht eben wieder auf, schüttelt sich, klatscht mit seinen Fahrer-Kollegen ab und bekommt ein aufmunterndes „Weiter geht’s, Junge“. Schürfwunden. Staub. Blut. Schweiß. Aber glücklicherweise keine schwereren Verletzungen, trotz übel aussehender Stürze.
Am Samstagabend ist auf dem nigelnagelneuen Dirtpark in Diespeck Profi-Zeit. „XPro Bikes FMB Bronze“ nennt sich die Serie, bei der die Crème de la Crème der BMX-Freestyle-Szene im Sonnenuntergang um 1300 Euro Preisgeld springt. Einer von ihnen ist Marvin Buchholzki, 22 Jahre alt, wohnhaft in Mainz – der Cristiano Ronaldo dieses Sports. Der „Homeboy“ aus Diespeck, wie Moderator Johannes Winkelmann ihn nennt, heißt Nico Tanzberger, Weltranglistenplatz 82. Außer Konkurrenz fährt als einzige Frau niemand Geringeres als Dirt-Jump-Supertalent Patricia Druwen, Nummer eins der Frauen-Weltrangliste, zarte 16 Jahre alt. Die BMX-Weltelite zu Gast in Diespeck.
Die Sonne lacht, kein Quellwölkchen bedeckt den strahlend blauen Himmel. Sonnenbrillen gehören hier ebenso zum guten Ton wie ein eleganter Street-Style und ein bunter Cocktail. Aus den Boxen tönen amerikanische Hip-Hop-Klassiker, dann wieder ein bisschen Rock zum leisen Mitsingen. „Gute Musik, Sommerfeeling – District-Vibe-Feeling in Diespeck“, sagt ein strahlender Dr. Christian von Dobschütz, Diespecks Bürgermeister. Die coolen Jungs mit ihren – fürs Festival namensgebenden – Drahteseln vollenden dieses Bild, das in (fast) jeden Hollywood-Streifen passen würde. Drohnen surren über der Szenerie.
Am Start prangt eine Rampe, mehrere Meter über Normalnull. Von Dobschütz bringt den Fünf-Meter-Brett-Vergleich: Von unten sieht’s harmlos aus, aber wer schon einmal oben stand, der weiß, wie viel Überwindung der Absprung kostet – und dann noch auf dem Dirtpark mit dem Fahrrad, am besten mit einem kleinen Salto zum Start. Über den Hügeln stehen die Fahrer scheinbar schwerelos meterhoch und bisweilen kopfüber über dem Erdboden.
Wer hier an den Start geht, der ist gewiss gegen Adrenalin nicht allergisch, hat vielmehr Nervenstärke, einen perfekten Fitness-Grad und neigt dezent zur Lebensmüdigkeit. Backflip, 360: Die spektakulären Eigenkörper- und Zweirad-Rotationen, teils mehrfach um die eigene Achse, sind schon beim Zuschauen nichts für schwache Mägen und haben natürlich stilecht englische Namen. „Ride or die“, steht bei einem Fahrer auf dem Helm. „Fahr oder stirb.“ Was ein Lebensmotto.
Während immer wieder Mensch und Rad durch die Lüfte schleudern, treibt Moderator Johannes Winkelmann aus Erlangen die rund 200 Personen starke Zuschauer-Meute an, die sich dieses in der Region einmalige Spektakel nicht entgehen lässt: „Ich will, dass wir hier eine große Party daraus machen. Dafür sieht die Bar nur ein bisschen leer aus“, scherzt Winkelmann.
Ein solches BMX-Profi-Festival wie in Diespeck, bei dem auch Amateure ihr Können zeigen dürfen, „gibt es hier in der Gegend in anderthalb Fahrstunden nirgends, nicht einmal in Nürnberg“, sagt ein dauerstrahlender Diespecker Bürgermeister nicht ohne Stolz.
Was man ebenfalls bei Wettkämpfen selten sieht, ist so viel Sportsgeist. Die BMX-Szene ist eine große Familie. Wenn bei einem Fahrer ein Stunt glückt, jubeln ihm alle zu. Hier fahren sozusagen alle gemeinsam und doch gegeneinander. Marek Sander aus Leipzig steht an diesem Abend das erste Mal einen äußerst beeindruckenden Backflip – höchster Schwierigkeitsgrad. Er steht ihn, schreit vor Glück, steigt ab und sprintet völlig ungläubig mit Tränen in den Augen die Rampe hinauf. Winkelmann kommentiert: „Er weint, Gefühle pur hier in Diespeck.“
Auf die Beine gestellt haben dieses BMX-Fest vor allem die Gemeinde Diespeck und die Playground-Riders des DTV. Die jugendlichen Fahrradfahrer aus Diespeck haben den Dirtpark, der am Samstag eingeweiht wurde, selbst gebaut. Mit dem Festival wollten die DTV-Verantwortlichen den Jungs ein bisschen Druck machen, damit diese beim Bau nicht bummeln, sagt Yvonne Tausche, Vorstand Sport, lachend. Erst kürzlich war die Abnahme, dann mussten die Playground-Riders hier und da noch nachbessern. Am Ende aber stand er da, der Dirtpark – mit perfekten Proportionen, stabilem Stand und Holz-Rampen, die zum Abheben einladen.
So ganz allein konnten die Diespecker ihr Drahtesel-Festival dann bei der Premiere aber doch noch nicht wuppen. „Wir können gut Feste organisieren“, sagt Christian von Dobschütz. „Aber beim Fahrrad mussten wir uns dann doch Know-how einkaufen.“ Eine Agentur aus Erlangen half bei der Umsetzung und stellte gemeinsam mit den Gosslers den Kontakt in die Szene her.
Wird Diespeck künftig auf dem jährlichen Tourplan der BMX-Fahrer stehen? Von Dobschütz könnte sich einen Zwei-Jahres-Turnus, immer im Wechsel mit dem Dorffest, gut vorstellen. „Es könnte sehr gut sein, dass das heute nicht das letzte Mal war.“
Dann wird gefeiert. Und plötzlich scheint auch die Barfüllung genehm. DJ Dufte liefert Tanzbares, GDA-Beats ebenfalls. Als Überraschungsgast steht ein gewisser DJ Chris Deluxe hinter dem Mixer – Dr. Christian von Dobschütz höchstpersönlich. „Als Gag-Auftritt, a bissl House.“ 20 bis 30 Minuten, mehr nicht, betont er. Denn: „Ich will ja selber mitfeiern.“