Die Bundesregierung wirkt fast so, als wäre nichts gewesen. Sie wolle das Urteil erst einmal genau prüfen, teilt in Berlin die Sprecherin des zuständigen Klimaschutzministeriums mit. Das Oberverwaltungsgericht Berlin/Brandenburg hatte am Donnerstagabend zwei Klagen der Deutschen Umwelthilfe stattgegeben und die Bundesregierung dazu verurteilt, Maßnahmen zu treffen, mit denen Deutschland seine Klimaziele erreichen kann. Das im Herbst 2023 von der Regierung beschlossene Klimaschutzprogramm sei dafür unzureichend, hieß es.
Der Senat sei zu der Überzeugung gelangt, dass das Programm „die gesetzlichen Vorgaben nicht vollständig erfülle, da es die verbindlichen Klimaschutzziele und den festgelegten Reduktionspfad für die einzelnen Sektoren bis auf den Sektor Landwirtschaft nicht einhalte“, schrieb das Gericht. Zudem hätten die Richter festgestellt, „dass das Klimaschutzprogramm 2023 an methodischen Mängeln leide und teilweise auf unrealistischen Annahmen beruhe“.
Im deutschen Klimaschutzgesetz ist das Ziel verankert, die Emissionen in ihrer Gesamtheit bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Bis 2045 will Deutschland dann komplett klimaneutral sein - also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als gebunden werden.
Das von der Umwelthilfe beklagte Programm gilt als eine Art Gesamtplan, um dieses Ziel zu erreichen. Es listet zahlreiche Maßnahmen in den Sektoren Verkehr, Energie, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft auf, die dabei helfen sollen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren - darunter etwa das Deutschlandticket, den Umstieg auf klimafreundliche Heizungen sowie mehr Flächen für erneuerbare Energien. Bis 2023 hatte Deutschland immerhin schon rund 46 Prozent Minderung geschafft.
Was das Klimaministerium sogar selbst einräumt: Trotz aller Maßnahmen bleibt eine Lücke von 200 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalenten. Ein Punkt, den auch die Vorsitzende Richterin Ariane Holle in ihrer mündlichen Urteilsbegründung hervorhebt. Durch das verabschiedete Programm würden lediglich 80 Prozent dieser „Klimaschutzlücke“ geschlossen.
Die Ministeriumssprecherin betonte am Freitag, dass es durchaus möglich sei, die Lücke „nahezu ganz zu schließen“. Das hätten auch die jüngsten Projektionen des Umweltbundesamts gezeigt. Voraussetzung dafür sei, dass die Bundesregierung Kurs halte und „ihre Programme entschlossen und nachdrücklich“ umsetze, erklärte sie weiter.
An dieser Darstellung hegt das Oberverwaltungsgericht jedoch Zweifel - wie aus dem Urteil mehr als deutlich hervorgeht. Was aber auch richtig ist: Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch völlig offen, ob die Entscheidung Wirkung entfalten und die Ampel tatsächlich zwingen wird, ihre Politik gründlich zu überarbeiten. Denn die Bundesregierung kann noch Revision einlegen - innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils samt schriftlicher Begründung. Ob sie diesen Schritt plant, war zunächst nicht zu erfahren. Auch das wolle man prüfen.
Die Deutsche Umwelthilfe, die mit dem Urteil erneut einen Prozess gegen die Ampel gewonnen hat, sieht sich in ihrem Bestreben, die Koalition zum Umlenken in der Klima-Politik zu bewegen, mehr als bestätigt. „Das war gut“, fasste DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch am Freitag zusammen. Er habe bei der Urteilsverkündung einen „Gänsehautmoment“ verspürt.
Die Organisation war zuletzt schon einmal juristisch gegen die Bundesregierung vorgegangen und hatte im November 2023 einen Sieg errungen. Damals hatte ebenfalls das OVG Berlin/Brandenburg geurteilt, dass die Regierung ein Klima-Sofortprogramm in den Sektoren Verkehr und Gebäude auflegen muss. Dagegen läuft aktuell noch die Revision beim Bundesverwaltungsgericht.
Die Sektoren Verkehr und Gebäude gelten auf dem Weg zur Klimaneutralität seit Längerem als Sorgenkinder. Nach den jüngst vorgestellten Zahlen des Umweltbundesamts wurden hier 2023 die Treibhausgas-Ziele erneut verfehlt. Besonders deutlich scheitert der Verkehrssektor bislang daran, seinen Beitrag zu leisten.
Ob das künftig noch für Schlagzeilen sorgen wird, ist indes fraglich: Denn der Bundesrat hat am Freitag eine Änderung des Klimaschutzgesetzes gebilligt, die vorsieht, dass die Erfüllung der Treibhausgasminderungen in einzelnen Sektoren künftig nicht mehr im Fokus stehen wird. Entscheidend ist demnach, was über alle Sektoren hinweg an Gesamteinsparung erzielt wird. Eine Änderung, die besonders die FDP in der Koalition forciert hatte. Klimaschützer sehen darin eine Aufweichung der Klimaziele - da einzelne Sektoren dadurch nicht mehr wie bisher in die Pflicht genommen werden. Die Klima-Allianz Deutschland nannte die Bundesratsentscheidung ein „Trauerspiel“.
Für das aktuelle Urteil spielt die Änderung allerdings erst einmal keine direkte Rolle - da sie nicht Gegenstand des Verfahrens war. „Wir haben nicht über das Klimagesetz verhandelt, sondern über das Klimaschutzprogramm“, bekräftigt DUH-Geschäftsführer Resch. Unabhängig von neuen Gesetzen müsse die Bundesregierung prüfbare Maßnahmen vorlegen, wie das Klimaziel erreicht werden kann. Das sei bislang nicht der Fall.
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