Ein Medienbericht über angebliche konzerninterne Nachrichten von Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner hat erneut für Wirbel rund um die Affäre um den früheren „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt gesorgt. Aus Springer-Kreisen verlautete nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag als Reaktion, der Artikel bestehe aus „manipulativen SMS-Fetzen“. Der Konzernchef richtete sich noch am selben Tag mit einer Reaktion an die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ veröffentlichte am frühen Morgen einen langen Bericht über den Springer-Chef und berief sich nach eigenen Angaben auf Dokumente, die aus den vergangenen Jahren stammen sollen. Es handele sich um E-Mails und Chatnachrichten aus dem engsten Führungskreis des Medienkonzerns, viele seien vom Springer-Chef selbst. Die Zeitung listete Zitate auf. Auffällig ist, dass mehrere direkt von Döpfner an den damaligen „Bild“-Chefredakteur Reichelt gerichtet worden sein sollen. Die journalistische Marke „Bild“ zählt zum Springer-Portfolio.
Springer-Chef Döpfner schrieb im betriebseigenen Intranet noch am Donnerstag an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Wie ich denke, zeigen meine über vier Jahrzehnte publizierten Artikel. Für jedes veröffentlichte Wort lasse ich mich in die Verantwortung nehmen. Aus dem Zusammenhang gerissene Text- und Gesprächsschnipsel können nicht als mein „wahres Denken” dagegengesetzt werden.“ Der Intranet-Text lag der dpa vor.
In den Zitaten, die die „Zeit“ samt den darin enthaltenen Rechtschreibfehlern in ihrem Text aufführt, geht es zum Beispiel um abfällige Bemerkungen über Ostdeutschland. 2019 soll der Konzernchef laut dem Zeitungsbericht geschrieben haben: „Die ossis werden nie Demokraten. Vielleicht sollte man aus der ehemaligen ddr eine Agrar und Produktions Zone mit Einheitslohn machen.“
Die Passagen zu Ostdeutschland führten prompt zu Kritik bei Politikern. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, forderte gar die Ablösung des Springer-Chefs. „Herr Döpfner ist nach dieser Veröffentlichung an der Spitze eines Verlages mit dieser publizistischen Macht und mit Blick auf die wichtige Rolle der Medien für unsere Demokratie endgültig nicht mehr tragbar“, sagte der SPD-Politiker dem Nachrichtenportal „t-online“.
Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) äußerte sich auch bei „t-online“ und warf Döpfner vor, die deutsche Einheit geistig nie vollzogen zu haben - jede seiner Zeilen lebe den Geist der Spaltung.
Zu den Kritikern zählte auch die Ostbeauftragte der Grünen-Fraktion im Bundestag, Paula Piechotta. Sie meinte: „Döpfners Aussagen verletzen, aber er ist definitiv nicht der einzige Westdeutsche, der so denkt.“ Solche Vorurteile „werden nur mit den neuen Generationen langsam aussterben“.
Döpfner betonte in seinem Intranet-Beitrag: „Ich habe natürlich keinerlei Vorurteile gegen Menschen aus dem Osten Deutschlands. Aber ich bin seit Jahrzehnten enttäuscht und besorgt, dass nicht wenige Wähler in den neuen Bundesländern von ganz links nach ganz rechts geschwenkt sind.“ Der Erfolg der AfD beunruhige ihn.
In den Zitaten, die die „Zeit“ veröffentlichte, geht es auch um Sympathie für die Politik des früheren US-Präsidenten Donald Trumps. Und anscheinend geht es laut Bericht auch um Kritik an Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die „Zeit“ zog ein Zitat heran, in dem von „M“ die Rede ist. „Sie ist ein sargnagel der Demokratie.“ Es geht bei den Zitaten auch um eine Abneigung gegen Windräder.
Die Zeitung schreibt zudem, dass Verlagschef Döpfner parteilich agiert habe. So soll sich der 60-Jährige vor der vergangenen Bundestagswahl eine pro-FDP-Berichterstattung in der „Bild“ gewünscht haben.
Döpfner ging in seiner Reaktion an die Springer-Mitarbeiter auf einzelne Passagen des „Zeit“-Artikels ein. Zum Beispiel sagte er zum Komplex FDP: „Ich streite gerne im Sinne der Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit - gerade auch mit unseren Chefredakteurinnen und Chefredakteuren, die alle mündig und selbstbewusst sind. Das gilt ausdrücklich auch für die behauptete Einflussnahme in Sachen FDP.“ Er sei den Werten dieser Partei sehr nahe. „Aber unsere Journalistinnen und Journalisten lassen sich davon Gott sei Dank nicht beeinflussen.“ Am Ende entscheiden laut Döpfner die Chefredakteure.
Aus Springer-Kreisen hieß es weiter zu dem „Zeit“-Artikel, die Absicht des Artikels sei erkennbar: Er solle Unruhe stiften und vom Wesentlichen ablenken.
Mit dem Artikel holt die Affäre um Reichelt den Medienkonzern, der vor allem in den USA expandieren will, erneut ein. Reichelt musste im Herbst 2021 seinen Posten als Chefredakteur von Deutschlands größter Boulevardzeitung räumen und den Konzern verlassen. Hintergrund seines Karriere-Endes bei „Bild“ waren Vorwürfe des Machtmissbrauchs in Verbindung mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen gewesen. Der Journalist selbst hatte später von einer „Schmutzkampagne“ gegen ihn gesprochen und hatte Vorwürfe zurückgewiesen.
Der Medienkonzern hatte im Frühjahr 2021 ein internes Verfahren gegen den Journalisten zur Überprüfung der Vorwürfe angestoßen und war dabei zunächst zum Schluss gekommen, ihm eine zweite Chance zu geben. Ein Medienbericht der US-Zeitung „New York Times“ griff den Fall dann im Oktober 2021 erneut auf, Springer zog unmittelbar darauf einen Schlussstrich und entband Reichelt von seinen Aufgaben.
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete unabhängig von der „Zeit“-Berichterstattung unter Berufung auf eigene Informationen, dass Springer seit geraumer Zeit rechtliche Schritte gegen Reichelt prüfe. Der Medienanwalt von Julian Reichelt, Ben Irle - der auch in der „Zeit“-Berichterstattung zitiert wird -, teilte auf dpa-Anfrage wiederum mit, man prüfe seinerseits „strafrechtliche Verfolgbarkeiten von Verhaltensweisen und zivilrechtliche Inanspruchnahmen sämtlicher Beteiligten“.
Der „Zeit“-Bericht erschien wenige Tage vor der in der Medienbranche mit Spannung erwarteten Veröffentlichung des neuen Buches von Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre. Es soll sich bei dem belletristischen Werk „Noch wach?“, das am 19. April erscheint, um einen Schlüsselroman rund um das Medienhaus Springer handeln.
Stuckrad-Barre wurde Teil der Berichterstattung der „New York Times“ im Oktober über Springer, die den Weggang Reichelts mit auslöste. Döpfner zog mit einer in dem Artikel zitierten privaten Kurznachricht, die er an Stuckrad-Barre verschickt hatte, Kritik aus der Medienbranche auf sich. Der Springer-Chef hatte Reichelt darin als letzten und einzigen Journalisten in Deutschland bezeichnet, der noch mutig gegen den „neuen DDR-Obrigkeitsstaat“ aufbegehre. Fast alle anderen seien zu „Propaganda Assistenten“ geworden. Springer hatte die Kurznachricht als Ironie eingeordnet.
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