Gänzlich ungefährlich ist es auch in einem Streichelgehege nicht. Das musste im Sommer 2023 eine Urlauberin aus Sachsen-Anhalt in einem Tierpark in Mecklenburg-Vorpommern auf schmerzhafte Weise erfahren. Nun hat auch das Landgericht Stralsund festgestellt: Der Kontakt mit Tieren in solchen Anlagen könne „unter Umständen und in bestimmten Grenzen auch zu Gefahren für die Menschen im Gehege führen“. Jedem vernünftigen Besucher sei das bewusst.
Als „einen ordentlichen Rums“ in ihre Kniekehle hatte die zu Verhandlungsbeginn 63-Jährige aus Jessen im Landkreis Wittenberg ihren unsanften Kontakt mit einer Ziege im Vogelpark Marlow beschrieben. Das Tier brachte die Frau damals zu Fall, die mit ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und ihrem Enkel Urlaub im Nordosten machte. Die Altenpflegerin musste später am Knie operiert werden und war etwa ein Jahr lang krankgeschrieben.
Ihre Krankenkasse verklagte den Tierpark. Sie machte bereits angefallene Kosten in Höhe von mehr als 31.000 Euro geltend, etwa für die Behandlung oder auch Krankengeldzahlungen. Auch mögliche künftige Kosten führte die Kasse an. Ihrer Auffassung nach handelte es sich um ein aggressives Tier, das nicht in ein Streichelgehege gehört. Zudem seien die Tiere ausgehungert gewesen.
Doch laut Entscheidung des Landgerichts vom Dienstag muss der Tierpark nicht für die Kosten aufkommen. Er habe alles Erforderliche und Zumutbare getan, um die Sicherheit der Besucher des Streichelzoos zu gewährleisten. Auch habe die Versicherte das Gehege auf eigene Gefahr betreten.
Das Gericht folgte der Darstellung des Tierparks, wonach es sich um eine in deutschen Streichelgehegen weit verbreitete Rasse handle. Es habe sich auch nicht bestätigt, dass das Tier besonders aggressiv gewesen sei oder Hunger eine Rolle gespielt habe.
Die zoologische Leiterin und ausgebildete Tierärztin hatte gesagt, die Wiederkäuer bräuchten permanent Futter, daher hätten sie auch rund um die Uhr Zugang etwa zu Heu. Nach dem in Tütchen an Besucher verkauften Pellet-Futter strebten die Ziegen so sehr, weil es ihnen besonders gut schmecke, nicht weil sie hungrig seien.
Nach Überzeugung des Gerichts hatte die Frau im Gegensatz zu anderen Besuchern innerhalb des Streichelgeheges auch kein Futter dabeigehabt. Laut Zeugen sei die Ziege auch nicht bei ihr geblieben, um nach Futter zu suchen.
In der Verhandlung war auch über das Geschlecht des Tieres diskutiert worden. Laut Klage der Krankenkasse ging der Angriff von einem aggressiven Ziegenbock aus. „Es war jedenfalls ein kleines kräftiges Ziegentier mit Hörnern“, sagte die Rechtsanwältin der Krankenkasse. Da bei der entsprechenden Art - den Afrikanischen Zwergziegen - auch Weibchen Hörner haben, sei das Geschlecht nicht ganz klar. Die zoologische Leiterin des Vogelparks sagte vor Gericht, es seien keine männlichen Tiere auf der Anlage gewesen.
Dass sowohl weibliche als auch männliche Tiere Hörner haben, fällt laut Gericht nicht ins Gewicht: „Anhand der Zeugenaussagen konnte nicht festgestellt werden, ob die Ziege die Geschädigte mit den Hörnern oder einem anderen Körperteil gestoßen habe.“
In der Verhandlung hatten Zeugen widersprüchliche Angaben zum Verhalten der Ziege gemacht. „Die hat die voll aufs Korn genommen“, hatte ein Zeuge gesagt. Der Schwiegersohn der Geschädigten sagte hingegen aus, eine große Gruppe Ziegen sei aus irgendeinem Grund in eine bestimmte Richtung des Geheges gerannt. „Sie stand halt genau im Weg.“
Gezielter Angriff oder Zusammenstoß, weil sich die Herde bewegte? Das konnte das Gericht nach eigenen Angaben nicht aufklären. Laut Tierpark war ein derartiger Vorfall in Marlow ansonsten bislang nicht bekannt.
Laut Gericht ist jedem vernünftigen Besucher bewusst, dass Kontakt mit Tieren auch Kontakt mit tierischem Verhalten bedeute, „welches spontan, willkürlich und zuweilen auch unerwartet“ sein könne. Dem Besucher stehe frei, das Streichelgehege nicht zu betreten. Dass eine oder mehrere Ziegen Menschen dort anrempeln, könne ein Tierpark auch bei aller Sorgfalt nicht verhindern.
Die Entscheidung ist bislang nicht rechtskräftig. Die Krankenkasse könnte Berufung einlegen, mit der sich dann das Oberlandesgericht Rostock befassen müsste.
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