Mikrotouren per Direktflug: Wie Grönland mehr Gäste anlockt | FLZ.de

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 24.02.2025 00:08

Mikrotouren per Direktflug: Wie Grönland mehr Gäste anlockt

Ein Schiff mit Touristen fährt im Ilulissat-Eisfjord im Westen von Grönland an Eisbergen vorbei. (Foto: Steffen Trumpf/dpa-tmn)
Ein Schiff mit Touristen fährt im Ilulissat-Eisfjord im Westen von Grönland an Eisbergen vorbei. (Foto: Steffen Trumpf/dpa-tmn)
Ein Schiff mit Touristen fährt im Ilulissat-Eisfjord im Westen von Grönland an Eisbergen vorbei. (Foto: Steffen Trumpf/dpa-tmn)

Auch nach mehr als 100 Fahrten zu den Eisbergen von Ilulissat sind diese Touren für Sigurd Janniche Thomsen noch etwas Besonderes. „Das Licht ändert sich jedes Mal, und die Eisberge sehen darin jedes Mal anders aus“, sagt der Tourguide, der regelmäßig Grönlandtouristen aus Deutschland und dem Rest der Welt zu den Eiskolossen im Ilulissat-Eisfjord begleitet.

Um ihn und das kleine Ausflugsschiff herum herrscht eine fast allumfassende Stille, die nur gelegentlich vom Knacken des Eises unterbrochen wird, und eine frostige Kälte von minus 27 Grad. Vor, neben und hinter dem Schiff ragen die Eisberge bis zu 100 Meter in die Höhe, während sie sich langsam ihren Weg Richtung Diskobucht und von dort weiter zum offenen Meer bahnen.

Der berühmteste Eisberg der Geschichte

„Keine Sorge, wir werden hier keine zweite „Titanic” hinlegen“, sagt Thomsen. Tatsächlich stammte der wohl berühmteste Eisberg der Geschichte - der, mit dem der besagte Passagierdampfer 1912 auf fatale Weise kollidierte - aller Wahrscheinlichkeit nach aus genau diesem Eisfjord.

„Wir fahren auf einem Eisbrecher, also macht euch keine Gedanken“, sagt Thomsen, während sich das Schiff durch eine dicke Eisschicht auf dem Fjordwasser arbeitet. Der Guide bringt den Reisenden derweil näher, wie die weißen Riesen vom nahe gelegenen Gletscher Sermeq Kujalleq kalben und wie der Klimawandel den Rückgang des Eises immer mehr beschleunigt.

Die Stille, die Kälte, die Eisberge als stumme Zeitzeugen der Klimakrise: Ilulissat ist eine ganz eigene Welt, und zwar eine, die bislang nur vergleichsweise wenige Touristen mit eigenen Augen gesehen haben. Dasselbe gilt für Grönland an sich, gerade in den Wintermonaten, wenn eisige Temperaturen herrschen und Nordlichter über verschneite Landschaften wabern. 

Doch die von US-Präsident Donald Trump lautstark begehrte größte Insel der Erde arbeitet darauf hin, dass der Tourismus wächst, unter anderem mit Hilfe eines neuen Gesetzes, das neben einer nachhaltigen Entwicklung des Reisegeschäfts auch sicherstellen soll, dass dabei mehr Geld bei den Leuten vor Ort ankommt.

Die Ziele für das Jahr 2035 sind definiert: Die Zahl der Touristen soll sich bis dahin verdoppeln, der Tourismus dann 40 Prozent des Exportwerts des Landes ausmachen und mehr als 2.000 Menschen beschäftigen, wie Tanny Por von Visit Greenland erläutert. 

Wilder, rauer, unentdeckt

Jahrelang lag die Zahl der Grönlandtouristen bei etwa 100.000, im jüngsten Vergleichsjahr 2023 waren es bereits 140.000, die sich etwa zur Hälfte auf Kreuzfahrttouristen und Flugpassagiere verteilen. Das Interesse an Grönland steige, Deutschland sei dabei einer der größten Märkte, sagt Por: Rund 13.000 Deutsche kamen 2023 per Schiff, knapp 3.600 mit dem Flugzeug. 

Setzt auf Grönland also ein Reiseboom ein, wie ihn auch das benachbarte Island erlebt hat? Dorthin reisten im vergangenen Jahr knapp 2,3 Millionen Menschen - fast sechsmal so viele, wie Island Einwohner hat. Von solchen Zahlen ist man in Grönland mit seinen 57.000 Einwohnern noch weit entfernt.

„Grönland ist momentan noch unentdeckt und relativ unberührt. Es hat also noch dieses Geheimnisvolle, das auch Island hatte“, sagt Por. „Es ist wilder und rauer. Ich denke, diese ganze Abgeschiedenheit, dass fast noch niemand da gewesen ist, das ist der große Unterschied im Moment.“

Die Hauptstadt Nuuk und der Ort Ilulissat mit seinen Eisbergen seien klar die wichtigsten Destinationen, aber überall warteten mikrotouristische Erlebnisse, also Erfahrungen an kleinen Orten mit einer beschaulichen Anzahl an Mitreisenden, sagt Por.

Dazu zählen neben klassischen Hundeschlitten- und Nordlichtertouren auch Übernachtungen in Iglus und auf dem Eisschild. Wem das noch nicht aufregend genug ist, der kann sich beim Heli-Skiing über verschneiten Landschaften absetzen lassen und Bergkuppen hinabfahren, auf denen zuvor kaum jemand gewesen ist.

Als großer Gamechanger für den Tourismus auf der zum Königreich Dänemark zählenden Insel wird dabei ein neuer internationaler Flughafen mit einer 2.200 Meter langen Landebahn betrachtet: Nuuk lässt sich dadurch nunmehr per fünfstündigem Direktflug aus Kopenhagen erreichen - zuvor musste man zunächst ins Örtchen Kangerlussuaq fliegen und dort in Propellermaschinen mit jeweils gerade einmal 37 Sitzen umsteigen. 

Zudem soll in der zweiten Jahreshälfte 2026 ein weiterer internationaler Flughafen in Ilulissat öffnen. Die ganze Idee hinter der neuen Infrastruktur sei, Grönland leichter zugänglich zu machen, sagt der Leiter des Flughäfen-Betreibers Greenland Airports, Jens Lauridsen. 

Von Island lernen

Dabei macht man auf Grönland kein Geheimnis daraus, dass man von der benachbarten Nordatlantik-Insel lernen will, ohne deren Fehler zu wiederholen.

„Natürlich haben wir auf Island geschaut und gesagt: Wir wollen keinen zweiten Golden Circle“, sagt Lauridsen mit Blick auf eine vielbefahrene Tagesroute, auf der Islandreisende von Reykjavik aus in Scharen unter anderem zu Geysiren, dem Wasserfall Gullfoss und in den Nationalpark Thingvellir strömen.

„Wir wollen uns etwas von der Einzigartigkeit bewahren, die auch der Golden Circle einst hatte. Das ist eine der Erkenntnisse, die wir von Island gewonnen haben“, sagt er.

Bei einem will man in Grönland aber ähnlich vorgehen, wie es auch Island seit geraumer Zeit stärker versucht: die Touristen gleichmäßiger auf das ganze Jahr und auf die einzelnen Landesregionen zu verteilen. „Es reicht nicht, dass wir die Menschen nach Nuuk oder Ilulissat bringen“, sagt Lauridsen.

Mit einer besseren Verteilung springe für die Touristen ein einzigartiges Erlebnis heraus - und die Einheimischen profitierten letztlich im ganzen Land. Im Tourismusplan der Regierung heißt es dazu: „Der Tourismus kommt allen zugute und macht das Land zu einem noch besseren Ort zum Leben.“

Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Regionalflughäfen und Hubschrauberlandeplätze auf der Insel, die mit ihrem riesigen Eisschild rund sechsmal so groß wie Deutschland ist. Kangerlussuaq bietet sich zum Beispiel als Basis für Touren ins ewige Eis an, der westgrönländische Ort Maniitsoq lädt zum Heli-Skiing ein, der Osten von Grönland wiederum zu Erlebnissen in der völlig unberührten Natur.

Und Trump?

Und das laute Getöse um die Grönland-Avancen von Trump? Zurück in der Stille des Ilulissat-Eisfjords scheint all das ganz weit weg zu sein. Trumps Landsleute wird man hier und im Rest Grönlands trotzdem bald wohl noch häufiger sehen: Die Fluglinie United Airlines wird Nuuk von Mitte Juni bis September vom New Yorker Flughafen Newark aus anfliegen, die skandinavische Airline SAS will sich von Kopenhagen aus ebenfalls an Direktflügen in die grönländische Hauptstadt versuchen. Die Touristen, die Grönland mit seiner einzigartigen Natur anziehen will, werden also kommen - aus Amerika ebenso wie aus Europa.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Grönland ist etwa sechsmal so groß wie Deutschland und zu 80 Prozent mit Eis bedeckt. Geografisch liegt die Insel in Nordamerika, politisch ist sie bei weitgehender Autonomie dagegen Teil des Königreichs Dänemark.

Beste Reisezeit: Nuuk und vor allem Ilulissat sind im Sommer stark ausgebucht. Wer es wagt, bei Temperaturen von teils minus 25 Grad zu reisen, für den empfehlen sich die deutlich geringer ausgelasteten Wintermonate. Gerade von November bis Januar kann es jedoch zu teils starken Stürmen kommen, die Flugausfälle zur Folge haben können.

Anreise: per Flugzeug oder Schiff. Air Greenland fliegt Nuuk seit November 2024 direkt von Kopenhagen aus an, Icelandair bedient mehrere grönländische Orte via Keflavik auf Island. In diesem Sommer wollen auch SAS und United Airlines Direktflüge aus Kopenhagen und New York nach Nuuk anbieten.

Einreise: Reisende aus Deutschland benötigen kein Visum. Anders als bei Reisen nach Dänemark genügt der Personalausweis nicht, ein Reisepass ist erforderlich.

Kosten: Ein Grönlandurlaub ist teuer. Flüge von Kopenhagen und zurück kosten derzeit etwa 1.000 Euro. Durch den größeren Wettbewerb im Sommer wird jedoch mit fallenden Flugpreisen gerechnet. 

Unterkunft: Doppelzimmer in Drei-Sterne-Hotels in Ilulissat kosten im Frühjahr etwa 200 Euro pro Übernachtung, im Sommer etwas mehr. In Nuuk ist die Auswahl der Unterkünfte größer und umfasst unter anderem auch vereinzelte Budget-Alternativen.

Währung: Dänische Krone. 10 Kronen entsprechen 1,35 Euro (Stand: 19.02.2025).

Weitere Auskünfte: www.visitgreenland.com

© dpa-infocom, dpa:250223-930-384713/1


Von dpa
north