Mit einigen Sorgen und Zweifeln reisen die deutschen Fußballerinnen am Dienstag von Frankfurt nach Sydney zur Weltmeisterschaft. Die 2:3-Niederlage im letzten Testspiel gegen Sambia und die Verletzungen von Lena Oberdorf, Marina Hegering sowie vor allem der Ausfall von Abwehrspielerin Carolin Simon machen dem Turnier-Mitfavoriten sichtlich zu schaffen.
„Wir werden in Australien nun die Zeit nutzen, um uns bestmöglich auf unsere bevorstehenden Aufgaben einzuschwören“, sagte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bei der Bekanntgabe des 23-köpfigem WM-Kaders.
Nach der verpatzten Generalprobe gegen den afrikanischen WM-Außenseiter herrschte am Freitagabend in Fürth eher Krisen- als Aufbruchstimmung. Kapitänin Alexandra Popp ahnte, was dieses Ergebnis auslösen wird: „Wir kennen ja die deutschen Fußball-Fans“, sagte die Wolfsburgerin. „Da ist es ja ganz schnell so, dass da die Alarmglocken angehen.“
Dass den DFB-Frauen bei der WM ein ähnliches Debakel droht wie den Männern in Katar oder der männlichen U21 bei der EM - davon sprach natürlich niemand. „Das war ein tolles Trainingslager, die Mannschaft hat sich da zusammen gefunden“, betonte Joti Chatzialexiou nach der Vorbereitung in Herzogenaurach. Trotz der Niederlage schaut der leidgeprüfte Leiter Nationalmannschaften beim DFB „sehr zuversichtlich Richtung Down Under“.
Voss-Tecklenburg wollte „nicht alles zerreden“, sprach das Dilemma aber klar an: „In der Summe zu viele Fehler. In der Summe ein durchwachsenes Jahr“, bilanzierte die 55-Jährige nach dem fünften nicht überzeugenden Länderspiel 2023, sagte aber auch: „Wir sind nicht mutlos, wir sind selbstkritisch und wissen, was wir zu tun haben. Es liegt auch eine Chance darin, die wollen wir nutzen.“
Dass in Carolin Simon die dritte Bayern-Spielerin nach Giulia Gwinn und Linda Dallmann ausfällt, „ist brutal, nimmt uns alle mit“, sagte Voss-Tecklenburg. Die Verteidigerin hatte sich nach einigen Jahren zurück in die deutsche Auswahl gekämpft, riss sich aber in der Nachspielzeit gegen Sambia das vordere Kreuzband.
Zudem sind die so wichtige Mittelfeld-Abräumerin Oberdorf (Muskelblessur im Oberschenkel) und Abwehrchefin Hegering (Fußprellung) angeschlagen. Die Bundestrainerin weiß nicht, „ob sie in den ersten Trainings-Einheiten vor Ort auch dabei sein können“. Oberdorf beschwichtigte immerhin: „Ich denke, das ist nichts Wildes.“
Angesichts dieser Fragezeichen nimmt Voss-Tecklenburg Janina Minge vom SC Freiburg als Backup-Spielerin mit. Die 24-Jährige könnte noch ins offizielle Aufgebot rutschen. Bis 24 Stunden vor dem ersten Gruppenspiel, das die DFB-Frauen am 24. Juli gegen Marokko bestreiten, dürfen nach dem FIFA-Reglement bei einem entsprechenden Nachweis erkrankte oder verletzte Spielerinnen noch ersetzt werden.
„Ich finde es ganz toll, wie sie damit umgegangen ist. Dass sie sagt: Ja, das ist eine Riesenchance für mich“, lobte Voss-Tecklenburg Minge, die bei der weiten Reise möglicherweise aber auch nie im Kader stehen wird. Aus dem Aufgebot gestrichen wurden nach der bereits vergangene Woche abgereisten Paulina Krumbiegel noch Sarai Linder (beide TSG Hoffenheim), Tabea Sellner (vormals Waßmuth) vom VfL Wolfsburg und Torhüterin Ena Mahmutovic vom MSV Duisburg.
Das größte Kontingent stellt Champions-League-Finalist Wolfsburg (10), fünf kommen von Eintracht Frankfurt, vier vom deutschen Meister aus München. Am Dienstag reisen die Vize-Europameisterinnen über Dubai nach Sydney, von dort geht es weiter ins Basecamp nach Wyong. Beim WM-Turnier vom 20. Juli bis 20. August in Australien und Neuseeland geht es in der Vorrunde nach Marokko gegen Kolumbien (30. Juli) und Südkorea (3. August).
„Mit Kolumbien kommt das gleiche Tempo und die gleiche Physis auf uns zu“, warnte die Bundestrainerin. Zu anfällig in der Defensive und zu harmlos in der Offensive agierten die Gastgeberinnen, die eigentlich den dritten WM-Titel nach 2003 und 2007 anstreben, gegen Sambia. „Im letzten Drittel hat's etwas gehapert. Die Chancen waren ja da. Ich verfalle jetzt nicht in Panik“, sagte Oberdorf, wohl wissend: „Einfacher wird es auch nicht.“
Die Münchnerin Gwinn, die wegen fehlender Spielpraxis nach ihrer schweren Knieverletzung nicht nominiert worden war, hofft, „dass die Mädels, wenn sie dort ankommen und den Boden berühren, auch wirklich dieses Turnier-Feeling bekommen“. Die 24-Jährige zog im ZDF-„Sportstudio“ eine Parallele zur erfolgreichen EM im vergangenen Sommer, als das deutsche Team bis ins Finale gestürmt war. Viele Monate vor dem Turnier habe es auch wenig positive Ergebnisse gegeben, „ganz Deutschland hat gesagt: Die werden bei der EM nicht mal über die Gruppenphase hinauskommen.“
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