Mit einem Pakt mit Frankreich will die britische Regierung eines ihrer wichtigsten Wahlversprechen einlösen und die illegale Einwanderung über den Ärmelkanal deutlich reduzieren.
Innenministerin Suella Braverman unterzeichnete in Paris mit ihrem Kollegen Gérald Darmanin die Vereinbarung, die erstmals vorsieht, dass britische Beamte als Beobachter nach Frankreich entsendet werden - und umgekehrt. Die Zahl der an Nordfrankreichs Küste eingesetzten Polizeibeamten soll um 40 Prozent erhöht werden, außerdem soll neue Überwachungstechnik zum Einsatz kommen.
Zahlen wird dafür vor allem London. Für den Zeitraum 2022/2023 ist ein Betrag von 72,2 Millionen Euro vorgesehen. Insbesondere ins Visier nehmen wollen beide Länder illegale Einreisen aus Albanien. Von dort stammt nach britischen Angaben fast ein Drittel der Migranten, die es über den Ärmelkanal schaffen. Das liege vor allem daran, dass kriminelle albanische Banden die Flüchtlingslager in Nordfrankreich kontrollieren, hieß es jüngst in London. Frankreich sicherte nun auch Investitionen in Aufnahmezentren in Südfrankreich zu. Damit sollen über das Mittelmeer kommende Migranten davon abgehalten werden, sich an die Kanalküste zu begeben und eine sichere Alternative erhalten.
Die nicht genehmigte Zuwanderung ist eine der größten Sorgen der konservativen britischen Regierung, obwohl die Zahl der ankommenden Migranten deutlich niedriger ist als in den meisten EU-Staaten. Seit Jahren aber nimmt die Zahl derjenigen zu, die es über den Ärmelkanal ins Land schaffen - obwohl London schon seit langem verspricht, das Problem zu lösen. Am Wochenende erreichten erneut mehr als 1800 Menschen in kleinen, oft seeuntauglichen Booten die britische Küste. Damit sind es in diesem Jahr bereits mehr als 41.000 - deutlich mehr als im Gesamtjahr 2021 und so viele wie noch nie.
Dabei hatte die Regierung versprochen, dass mit dem Brexit die Freizügigkeit enden werde. Ein ausgeklügeltes System soll seitdem die Migration kontrollieren. Doch auch die radikalsten Pläne der konservativen Hardliner schrecken Menschen nicht ab. Dazu zählt die Idee, unerlaubt Eingereiste nach Ruanda auszufliegen - ungeachtet ihres Hintergrunds. Einen Asylantrag sollen die Menschen dann in dem ostafrikanischen Land stellen, nach Großbritannien zurückkehren dürfen sie nicht. Doch das international scharf kritisierte Vorhaben wird noch vor Gericht angefochten.
In der Vergangenheit war der Umgang mit der Migration über den Ärmelkanal oft ein Zankapfel zwischen beiden Ländern. Zuletzt aber gab es viel Lob, Frankreich soll fast 30 000 Überquerungsversuche verhindert haben. Premierminister Rishi Sunak zeigte sich zuversichtlich, dass der Deal die Zahl der Überfahrten senken werde.
Die Vereinbarung kam zehn Tage vor dem Jahrestag einer Katastrophe im Ärmelkanal zustande: Am 24. November 2021 ertranken 27 Menschen, als ihr Schlauchboot kenterte. Die Gefahr bleibt. Alleine am Wochenende wurden vor der französischen Küste 170 Migranten, die mit kleinen Booten auf den Weg nach Großbritannien waren, aus Seenot gerettet.
Doch Menschenrechtler und Beobachter sind skeptisch, dass der Vertrag die Lage verbessern wird. Die Flüchtlingsorganisation Refugee Council forderte, London müsse vielmehr für sichere Einreisewege sorgen und enger mit der EU zusammenarbeiten. Lucy Moreton von der britischen Grenzschützergewerkschaft ISU sagte dem Sender Times Radio, Migranten aufzuhalten und dann gezwungenermaßen wieder freizulassen, ändere die Lage nicht. In Nordfrankreich warten Tausende Menschen auf eine Überfahrt.
Hinzu kommt die oft chaotische Situation in Großbritannien. Wie Refugee Council unter Berufung auf das Innenmimisterium mitteilte, warteten zuletzt mehr als 120.000 Menschen auf eine Bearbeitung ihres Asylantrages - fast vier Mal so viele wie noch im Dezember 2017.
Für Aufsehen sorgten jüngst die Zustände im südostenglischen Aufnahmelager Manston. Ausgelegt für 1600 Menschen, waren dort teils bis zu 4000 Migrantinnen und Migranten untergebracht. Zuletzt kam es zu mehreren Diphterie-Fällen. Die konservative Regierung setzt auf Härte. Der zuständige Innen-Staatssekretär Robert Jenrick behauptete am Wochenende, Migranten nutzten Großbritanniens Großzügigkeit aus. „„Hotel Britannien“ muss ein Ende haben“, schrieb der Politiker und forderte eine einfachere Unterbringung der Menschen: „Illegale Einwanderer haben keinen Anspruch auf Luxushotels.“
Beobachter warnen, der oft als hetzerisch empfundene Ton heize Rassismus und Rechtsextremismus an. Erst vor wenigen Wochen schleuderte ein weißer Mann mehrere Brandsätze auf eine Aufnahmestation in Dover.
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