„Ich kann mich einfach nicht entscheiden“ - das Gefühl kennt vermutlich jeder: Wenige Tage vor der Bundestagswahl am Sonntag wusste jeder Dritte laut ZDF-Politbarometer noch nicht, wohin mit Erst- und Zweitstimme. Warum ist es manchmal so schwierig, eine Entscheidung zu treffen?
Eins vorweg: Zu denken, man hat einfach grundsätzlich Schwierigkeiten, sich zu entscheiden, ist Quatsch. Schließlich entscheiden wir alle uns jeden Tag immerzu: „Sie entscheiden, wenn Sie aus dem Haus gehen, ob Sie links oder rechts laufen. Sie entscheiden beim Einkaufen, welche Zahnpasta Sie nehmen“, sagt Tilmann Betsch, Professor für Sozial-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Erfurt.
Der Unterschied ist, dass wir im Alltag viele Entscheidungen automatisiert treffen, weil wir Routinen und Rituale entwickelt haben. Wir merken gar nicht, dass wir grundsätzlich vor einer Entscheidung stehen - wir verhalten uns einfach.
Die Situationen, in denen es Menschen schwerfällt, sich zu entscheiden, sind häufig solche, in denen sie sich von den Optionen überfordert fühlen. Und Situationen, die selten vorkommen. Etwa: Trenne ich mich jetzt von meinem Partner? Oder: Welchen beruflichen Weg schlage ich jetzt ein? Das sind große Dinge oder Dinge, die uns zumindest groß vorkommen, sagt Tilmann Betsch.
Wichtig: „Das liegt aber nicht daran, dass wir nicht die Fähigkeit haben, uns zu entscheiden, sondern daran, dass wir in dem Moment nicht wissen, was wir wollen.“ Es handelt sich also nicht um ein Entscheidungsproblem, sondern um ein Problem auf der Zielebene: Wenn man alle Aspekte gleich gewichtet, ist es sehr schwierig, eine Lösung zu finden - weil es die womöglich nicht gibt.
Wenn wir vor einer Entscheidung stehen, müssen wir uns also zunächst darüber klar werden, was wir wollen und was uns wie wichtig ist. Wer weiß, was er will, kann sich nämlich leichter entscheiden.
Betsch nennt die Urlaubsplanung als Beispiel: Die erste Frage sei nicht, ob es ein Haus auf Madeira sein soll oder doch eher die Berge. „Besser wäre es, ein Bedürfnis zu erkennen“, so der Wissenschaftler. Etwa: Ich brauche Ruhe, ich will keine Menschen sehen.
Diese Vororientierung, für die man in sich hineinhört und sich fragt, was einem wirklich wichtig ist, ist wesentlich für den Entscheidungsprozess. Eine Rangliste mit zwei bis drei wichtigen Punkten kann schon helfen.
Haben wir nun erkannt und definiert, was uns im Urlaub in welcher Priorität wichtig ist, können wir unsere Optionen etwa in einem Ausschlussverfahren nach Aspekten Schritt für Schritt verkleinern.
Eine ähnliche Vorgehensweise ist das Satisficing - aus dem Englischen von satisfy für „zufriedenstellen“ und suffice für „genügen“: Hier überlegt man sich, welche Merkmale etwa eine Urlaubsunterkunft haben soll, zum Beispiel Preis, Lage und Ausstattung.
Dann wählt man die erste Option aus, die den Vorstellungen am meisten entspricht und unsere wichtigsten Bedürfnisse erfüllt. Anstatt mit viel Zeit und Energie nach einer „optimalen“ Lösung zu suchen, wird also die erstbeste gewählt. Denn die „optimale“ Lösung gibt es womöglich gar nicht.
Die Priorisierung kann uns auch helfen, wenn wir das Gefühl haben, vor zwei gleichwertigen Optionen zu stehen: Wenn uns bei einer Wahl zwei Parteien mit ihren Programmen ähnlich passend vorkommen, sollten wir uns auf die Themen konzentrieren, die für uns persönlich von zentraler Bedeutung sind.
„Wenn die Parteien sich darin unterscheiden, kann uns unsere subjektive Gewichtung der Themen die Entscheidung noch mal leichter machen“, sagt Betsch.
Zwar haben einige Menschen Schwierigkeiten zu erkennen und zu bestimmen, was ihnen wichtig ist, weil sie oft die Meinungen anderer im Kopf haben, sagt Tillmann Betsch. Genau das kann man aber auch für die Entscheidungsfindung nutzen, wenn man die richtigen Leute fragt. Etwa die Bedienung im Restaurant, was sie heute essen würde - immerhin kennt sie sich mit der Karte aus.
Denn darauf kommt es an: die richtige Quelle. „Ratgeber brauchen wir immer. Wir wissen nicht alles selbst und können uns nicht über alles informieren.“ Nicht jede Quelle ist vertrauenswürdig oder geeignet. Zu den Grundlagen der Entscheidungskompetenz gehört daher neben der Fähigkeit zu priorisieren vor allem auch die Bewertung der Quelle.
Zusammenfassend: Kennt man seine Bedürfnisse, kann diese priorisieren und weiß, wen man um Rat fragen kann - und wen besser nicht -, fallen Entscheidungen oft leichter. Wichtig im Kopf zu behalten: Es kann und muss nicht immer perfekt sein.
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