Corona, Klimawandel, Diskriminierung: Die Generation Krise der 14- bis 17-Jährigen ist einer Studie zufolge besorgter denn je über die großen politischen Probleme.
Jugendliche fühlen sich selbst oft machtlos und trauen auch der Politik kaum Lösungen zu. Und trotzdem wollen sie sich nicht unterkriegen lassen. Dieses widersprüchliche Bild zeichnet die neue Sinus-Studie „Wie ticken Jugendliche?“, die in Berlin vorgestellt wurde.
„Die Krisen stapeln sich, und die Jugendlichen bewahren sich den Bewältigungsoptimismus, das ist erstaunlich“, sagte Studienautor Marc Calmbach auf die Frage, was für ihn am überraschendsten war. Die Jugendlichen haben laut Studie trotz allem das Gefühl: Irgendwie wird es schon werden. Trotz Zukunftsängsten sind 84 Prozent der befragten Teenager zufrieden oder sehr zufrieden mit ihrem Alltagserleben.
Die Sinus-Studie gibt es seit 2008. Es ist keine Meinungsumfrage mit Hunderten Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Vielmehr wurden 72 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren aus unterschiedlichen Schulformen und Bevölkerungsgruppen über mehrere Stunden intensiv zu Hause nach ihrem Alltag, ihren Wünschen, Werten und Zukunftsentwürfen befragt. Aussagekraft für die 3,1 Millionen jungen Leute in der Altersgruppe hätten die Ergebnisse trotz der kleinen Stichprobe wegen der Tiefe der Befragung, sagte Calmbach.
Einige Ergebnisse: Viele Teenager sehnen sich nach Halt, Geborgenheit, einem einigermaßen sicheren Einkommen und eigener Familie - kurzum nach einer „bürgerlichen Normalbiografie“, wie es die Studienmacher nennen. Das Streben nach Sicherheit sei wichtiger geworden. Neues Biedermeier wollen die Jugendlichen aber auch nicht: „Auffällig ist, dass zunehmend deutlicher nicht nur die Toleranz in Bezug auf unterschiedliche Kulturen als Selbstverständlichkeit betont wird, sondern auch die Akzeptanz pluralisierter Lebensformen und Rollenbilder (Diversität).“
Die meisten Befragten zeigten sich offen und tolerant etwa gegenüber Menschen, die ihr Geschlecht non-binär definieren. „Die Jugendlichen sind Aware, aber nicht Woke“, formulierte Co-Autor Tim Gensheimer. Viele beschreiben Diskriminierung im Alltag und in der Schule, entweder als eigenes Erleben oder im Umfeld. Sie seien sehr sensibel gegenüber strukturellen Ungleichheiten, auch in Sachen Zukunftschancen bei unterschiedlichen Schulformen. Und: „Viele Jugendliche sehen Schule nicht als Ort, wo sie Mitbestimmung lernen und wirklich gehört werden.“
Weil die Jugendlichen schon 2023 befragt wurden, lassen sich darin keine direkten Antworten auf den Ausgang der Europawahl finden. Calmbach ordnete den Anteil jugendlicher AfD-Wähler von 16 Prozent aber so ein: „Das ist ein volatiles Verhalten, ich bin mir sehr sicher, dass das in zwei Jahren ganz anders aussehen kann.“ Jugendliche hätten kein geschlossenes Weltbild, sie probierten aus. Allerdings hätten die etablierten Parteien schon häufig enttäuscht, sagte der Geschäftsführer des Sinus-Instituts.
Viele sähen Politik als Sache der Politikerinnen und Politiker - sie gäben ihnen die „Lösungsverantwortung“, erläuterte sein Kollege Gensheimer. Doch trauten die jungen Leute der Politik immer weniger „Lösungskompetenz“ zu, das habe sich seit 2020 deutlich verringert.
Bestätigt fanden die Studienmacher die Annahme, dass sich Jugendliche sehr überwiegend über soziale Netzwerke informieren und sich ein Leben ohne diese kaum vorstellen können. Zugleich hätten sie ein Bewusstsein für negative Folgen von zu viel Handyzeit und Social Media und Vorsätze für die Zukunft: „Wenn ich mal Kinder habe, dann sitzen die nicht die ganze Zeit vor dem Screen“, gab Calmbach diese Hoffnung wieder.
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