Nach Darstellung des militärischen Arms der islamistischen Hamas im Gazastreifen gibt es dort an zwei verschiedenen Orten israelische Bodeneinsätze. Es gebe gewalttätige Zusammenstöße in dem Ort Beit Hanun im Norden sowie östlich des Flüchtlingslagers Al-Bureidsch im Zentrum des Gazastreifens, teilten die Al-Kassam-Brigaden gestern am späten Abend mit. Beides sind Orte in Grenznähe. Unabhängig waren die Angaben der Islamistenorganisation, die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, nicht zu überprüfen. Israels Armee wollte den Bericht nicht kommentieren.
Israels Armee hatte zuvor angekündigt, ihre Bodeneinsätze im Gazastreifen auszuweiten. Es blieb zunächst unklar, ob die Ankündigung den Beginn der weithin erwarteten Bodenoffensive darstellte. Das israelische Militär hatte zuvor bereits vereinzelte, zeitlich eng begrenzte Vorstöße am Boden gemacht. In den letzten Stunden habe das Militär seine Angriffe im Gazastreifen bereits verstärkt, teilte Militärsprecher Daniel Hagari am Abend auf der Plattform X, vormals Twitter, mit. Es würden vermehrt unterirdische Ziele und terroristische Infrastruktur angegriffen, erklärte er weiter.
Medienberichte deuteten unterdessen auf massive israelische Bombenangriffe im Gazastreifen hin. Ein Militärsprecher teilte dazu auf Anfrage lediglich mit, die Streitkräfte griffen in ihrem Kampf gegen die Hamas „laufend“ Ziele im Gazastreifen an.
Nach Israels Ankündigung, die Bodeneinsätze ausweiten zu wollen, protestierten im Westjordanland Berichten zufolge zahlreiche Palästinenser. Die „Times of Israel“ meldete Tausende Demonstranten, die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa berichtete von Hunderten allein in der Stadt Nablus. Auch in Ramallah, Hebron und vielen anderen Orten im Westjordanland gingen den Berichten zufolge Menschen auf die Straßen, um ihre Solidarität mit den Einwohnern des Gazastreifens zu zeigen. Laut Wafa kam es auch zu Zusammenstößen mit israelischen Soldaten.
Unterdessen fielen im Gazastreifen nach Angaben der Palästinensischen Telekommunikationsgesellschaft alle Kommunikations- und Internetdienste aus. Schuld sei die heftige Bombardierung durch die israelische Armee, teilte das im Westjordanland ansässige palästinensische Telekommunikationsunternehmen „Paltel“ mit.
Auch die Organisation Netblocks, die für die Beobachtung von Internetsperren bekannt ist, bestätigte auf der Plattform X einen Zusammenbruch der Internetverbindungen im Gazastreifen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das UN-Kinderhilfswerk (Unicef) haben laut eigenen Angaben keinen Kontakt mehr zu Mitarbeitern, Gesundheitseinrichtungen und anderen Partnern im Gazastreifen.
Die israelische Armee hatte bereits am Freitagmorgen mitgeteilt, binnen 24 Stunden mehr als 250 Ziele im Gazastreifen angegriffen zu haben. Darunter seien Tunnel der Hamas sowie Kommandozentren und Raketenabschussrampen gewesen, erklärte die Armee.
Palästinensische Extremisten im Gazastreifen feuerten am Freitag auch erneut Raketen auf Israel ab, vielerorts ertönten Sirenen. Beim Einschlag einer Rakete in der Metropole Tel Aviv wurden Helfern zufolge drei Menschen verletzt. Nach Angaben Israels wurden seit Kriegsbeginn bereits mehr als 8000 Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert. Die allermeisten davon werden von Israels Raketenabwehrsystem abgefangen.
Bei einem Terrorangriff der Hamas im Grenzgebiet zum Gazastreifen am 7. Oktober waren in Israel mehr als 1400 Menschen getötet worden. Mehr als 200 Geiseln wurden in den Gazastreifen verschleppt. Seither bombardiert Israel massiv Ziele im Gazastreifen. Zudem mobilisierte das Militär rund 300.000 Reservisten und zog für eine mögliche Bodenoffensive Kräfte in der Nähe des Gazastreifens zusammen.
Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen stieg seit Kriegsbeginn nach Darstellung des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums auf 7326 an. Darunter sollen 3038 Kinder und Jugendliche sowie 1792 Frauen sein, wie das Ministerium mitteilte. Die Zahlen waren zunächst nicht unabhängig zu überprüfen.
Das UN-Nothilfebüro OCHA erklärte unter Berufung auf Hamas-Behörden, dass fast die Hälfte aller Häuser im Gazastreifen durch israelische Angriffe zerstört, unbewohnbar oder beschädigt worden sei.
Die Forderung der Staats- und Regierungschefs der EU vom Donnerstagabend nach „humanitären Korridoren und Pausen für humanitäre Zwecke“ im Gazastreifen wies Israel zurück. „Israel lehnt einen humanitären Waffenstillstand derzeit ab“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums. Dazu zähle „jegliche Art geforderter Feuerpausen“. Die Hamas wird von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft.
Erkenntnissen israelischer Geheimdienste zufolge missbraucht die im Gazastreifen herrschende Hamas die größte Klinik in dem Küstengebiet als Kommando- und Kontrollzentrum. „Hamas-Terroristen operieren innerhalb und unter dem Schifa-Krankenhaus“, sagte Militärsprecher Daniel Hagari. Zu der unterirdischen Basis führten Tunnel von außerhalb, zudem gebe es innerhalb der Klinik einen Eingang. Die Hamas nutze zudem auch verschiedene Abteilungen des Krankenhauses, um „Terroraktivitäten“ und Raketenabschüsse zu befehlen und zu kontrollieren, sagte er. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die Hamas bestritt die Aussagen des Militärs. Das Krankenhaus werde nicht für „militärische Zwecke“ genutzt. Die Islamistenorganisation warf Israel Pläne vor, die gesamte medizinische Versorgung in dem Küstengebiet zerstören zu wollen.
Das UN-Menschenrechtsbüro wirft Israel Kriegsverbrechen vor. Den mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen Strom und Treibstoff vorzuenthalten, sei eine kollektive Bestrafung. „Kollektive Bestrafungen sind ein Kriegsverbrechen“, sagte die Sprecherin, Ravina Shamdasani, in Genf. Der Treibstoffmangel zwinge zur Schließung von Krankenhäusern und Bäckereien.
Die Menschen lebten unter verheerenden Bedingungen, es mangele an sauberem Trinkwasser und die sanitären Einrichtungen seien unzureichend. „Für die 2,2 Millionen Menschen, die im Gazastreifen eingeschlossen sind und kollektiv bestraft werden, bahnt sich eine humanitäre Katastrophe an“, sagte Shamdasani. Sie fügte hinzu, dass auch die Entführung von Zivilisten ein Kriegsverbrechen sei.
Die Zahl der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln ist höher als bisher von Israel angenommen. Man habe bis Freitag die Familien von 229 Geiseln informiert, sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari. Das waren fünf mehr als noch am Vortag. Es werde erwartet, dass die Zahl noch steigen könnte. Die vier von der islamistischen Hamas bereits freigelassenen Geiseln sind nach Militärangaben bei der Zahl nicht mit eingerechnet. Nach israelischen Informationen sind unter den Geiseln Bürger aus 25 Staaten, darunter auch Deutsche.
Bei den Luftangriffen seit Donnerstag seien „Dutzende“ Hamas-Mitglieder getroffen worden, hieß es von israelischer Seite. Auch ein ranghoher Hamas-Befehlshaber sei getötet worden. Der Kommandeur Madhat Mubaschar sei an mehreren Sprengstoff- und Scharfschützenangriffen auf israelische Zivilisten und Soldaten beteiligt gewesen.
Die WHO hält die Diskussion über die Verlässlichkeit der Opferzahlen, die von der im Gazastreifen herrschenden Palästinenserorganisation Hamas stammen, für zynisch. Die WHO habe über Jahre keinen Anlass für Zweifel an Zahlen dieser Gesundheitsbehörden gehabt, sagte der WHO-Vertreter für die besetzten palästinensischen Gebiete, Richard Peeperkorn.
Es mache auch keinen Unterschied, ob es tausend mehr oder weniger Opfer gebe - die humanitäre Lage im Gazastreifen sei katastrophal, die Zahl der Opfer durch israelische Angriffe enorm. Nach Angaben von Peeperkorn funktionieren noch 23 der insgesamt 35 Krankenhäuser im Gazastreifen teilweise. Es müsse auch auf dem Fußboden operiert werden, sagte er.
Ein dritter von der EU finanzierter Flug mit 51 Tonnen Hilfsgütern für die Menschen im Gazastreifen hat sich auf den Weg in die Region gemacht. Am Freitag sei eine Maschine in Kopenhagen gestartet, teilte die EU-Kommission mit. Sie bringe unter anderem Medikamente nach Ägypten. Die EU finanziere die Gesamtkosten aller Flüge, hieß es.
Aus Ägypten sollen die Hilfsgüter weiter nach Gaza transportiert werden. Die Güter werden den Angaben zufolge über Partnerorganisationen wie das Internationale Rote Kreuz abgewickelt. Bislang kommen allerdings nur sehr wenig Hilfsgüter in dem abgeriegelten Küstengebiet an.
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