Schlagmann Max Rendschmidt nahm sich nach dem Nervenkrimi erst einmal eine Abkühlung und ging nicht ganz freiwillig über Bord. Mit einem Mini-Vorsprung von gerade einmal vier Hundertstelsekunden hat der deutsche Vierer-Kajak mit Rendschmidt, Max Lemke, Jacob Schopf und Tom Liebscher-Lucz den olympischen Hattrick geschafft. „Als feststand, dass wir Gold haben, kam die Freude heraus, ich wollte mich umdrehen und mit den Jungs feiern, dann habe ich das Gleichgewicht verloren und bin ins Wasser rein“, erzählte Remdschmidt. „So konnte ich wenigstens alle Jungs dahinter abklatschen.“
Schopf, der Jüngste an Bord, ließ anschließend bei der Siegerehrung den Tränen freien Lauf. „Das ist der sportliche Traum, es war höchst emotional“, sagte der 25-Jährige, der vor drei Jahren in Tokio Gold im Zweier kurz vor der Ziellinie noch verlor. „Jetzt ist es Gold für die Ewigkeit, das bringt sicherlich die eine oder andere Träne, dafür sollte man sich nie schämen.“
Für Liebscher-Lucz ist Gold vor den Zweier-Rennen wie eine Erlösung: „Bei jedem liegt das Gold jetzt auf dem Nachttisch. Wir gehen sicherlich an der Bar unten noch ein kleines Bier trinken. Das können wir uns schon gönnen.“ Auch in den beiden Zweier-Wettbewerben nimmt das Quartett in den Besetzungen Rendschmidt/Liebscher-Lucz sowie Lemke/Schopf Favoritenrollen ein.
Dabei ging es für den Männer-Vierer denkbar schlecht los. Das deutsche Boot verursachte einen Fehlstart, weshalb alle Finalisten noch einmal zurück an den Start paddeln mussten. „Sie haben es uns nervlich nicht leicht gemacht, die Renntaktik dann aber super umgesetzt“, lobte Sportdirektor Jens Kahl.
Rendschmidt passierte dieses Malheur schon häufiger. „Auch bei einigen Weltcups haben wir schon zu früh gezogen. Doch das Feld ist so eng beieinander, da muss man volles Risiko gehen“, meinte er schmunzelnd. Der zweite Start gelang. In einem packenden Rennen kam Australien im Schlussspurt noch mal heran. Doch es reichte knapp für den erneuten Triumph. „Die letzten Meter waren eklig“, sagte Schopf.
Zuvor hatte der Kajak-Vierer der Frauen die Silbermedaille über 500 Meter gewonnen. Paulina Paszek, Jule Hake, Pauline Jagsch und Sarah Brüssler mussten sich nur dem Boot aus Neuseeland knapp geschlagen geben. Im Ziel fehlten 0,42 Sekunden zum ersten Olympiasieg eines deutschen Frauen-Quartetts in dieser Disziplin seit 2008 in Peking. „Silber ist grandios. Das ist wie kleines Gold“, sagte Kahl.
Schon 2012 in London und 2016 in Rio de Janeiro hatten die Frauen jeweils Silber im Kajak-Vierer geholt. Entsprechend groß war die Freude beim deutschen Quartett, das zwischenzeitlich sogar in Führung lag. Doch die starken Neuseeländerinnen konterten noch einmal und zogen vorbei. Bronze ging an Ungarn. „Zwischenzeitlich habe ich in den Augenwinkeln gesehen, dass wir vorne sind. Dann sind die Neuseeländerinnen doch noch vorbeigerauscht“, sagte Hake und fügte an: „Wir können stolz auf uns sein. Jetzt können wir noch stärker in die Zweier-Rennen gehen.“
Der stärkste Mann im Gold-Boot der Männer ist Liebscher-Lucz. „Der sieht auch aus wie ein Bodybuilder“, meinte Schopf, der eher der Social-Media-Experte ist. „Aber die meisten You-Tube-Videos guckt Max Rendschmidt“, korrigierte Schopf sofort und lüftete noch ein Geheimnis um den Schlagmann: „Er kann auch die meisten Kilogramm Nutella im Jahr verdrücken. Auch bei Brause-Ufos ist er ganz weit vorn“.
Der elf Meter lange Kajak-Vierer ist das erste Boot seiner Klasse aus dem Backofen. Denn das Boot wird im sogenannten Autoklav sechs Stunden bei 120 Grad gebacken. Das Harz wird vorher aufs Laminat und das Gewebe aufgebracht, dadurch entsteht ein optimales Verhältnis zwischen Faser und Harz. Diese Technologie wurde schon erfolgreich bei den Bob-Hauben im Wintersport angewendet.
„Damit erreicht man eine höherer Steifigkeit und Festigkeit als beim Aushärten bei Zimmertemperatur“, sagte Michael Nitsch, Direktor am Berliner Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES), der Deutschen Presse-Agentur. Durch die neuartige Bauweise wird der Vierer-Express leichter. Die Differenz zum Mindestgewicht von 30 Kilogramm wird dann mit Blei aufgefüllt. An welchen Stellen das im nur rund 40 Zentimeter breiten Boot geschieht, ist das Geheimnis der FES-Tüftler.
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