Der Astronaut Alexander Gerst hält nichts von einem internen Wettbewerb der europäischen Raumfahrer bei der Auswahl der Teilnehmer für eine mögliche Mondmission. „Wir sind alle gut befreundet im Astronautenkorps“, sagt der 46-Jährige nach einer mehrtägigen Expedition im Nördlinger Ries, einem fast 15 Millionen Jahre alten Meteoritenkrater in Bayern und Baden-Württemberg. „Es hängt nicht davon ab, dass man besser sein muss als der andere, um früher fliegen zu können.“ Alle Kandidaten seien auf einem ähnlichen Level.
Die Europäische Weltraumorganisation (Esa) bereitet ihre Astronauten darauf vor, dass sie in einigen Jahren bei einer der geplanten „Artemis“-Missionen der Nasa mit zum Mond fliegen können. Bislang sehe es so aus, dass es bei drei Missionen Plätze für Europäer gebe, meinte Gerst. Dafür kämen derzeit sieben Astronauten in Frage. Europa sei ein wichtiger Teil der neuen Mondmissionen, betonte Gerst. „Wir fliegen nicht als Gäste mit, sondern wir bauen die Hälfte des Raumschiffes“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Bei der Auswahl der Teilnehmer gehe es letztlich auch um politische Fragen, sagte Gerst. Denn in Europa würden die Flüge auch zwischen den Mitgliedsstaaten verteilt. Gerst sieht keine Konkurrenzsituation, auch nicht zu dem zweiten aktiven deutschen Astronauten Matthias Maurer. „Wir sehen das sehr entspannt, alle von uns, also nicht nur der Herr Maurer und ich.“ Außerdem sei es noch eine Weile bis zu dem ersten Mondflug mit einem europäischen Teilnehmer. „Es gibt einfach wichtigere Sachen, als die Personalie zu entscheiden“, meinte Gerst zu der derzeitigen Situation.
Maurer selbst hatte kürzlich gesagt, es sei schade, „dass es so dargestellt wird, als seien wir Konkurrenten, nur, weil wir beide auf der ISS waren“. Vielleicht stehe in ein paar Jahren auch jemand anderes im Fokus, sagte Maurer.
Der Geophysiker, Vulkanologe und frühere ISS-Kommandant Gerst, der den Spitznamen „Astro-Alex“ hat, gilt als aussichtsreicher Kandidat. Er war bereits zweimal auf der Internationalen Raumstation im Einsatz. Rund um Nördlingen hat er nun mit der Nasa-Anwärterin Stephanie Wilson Gesteinsproben untersucht. Wilson könnte die erste Frau werden, die die Mondoberfläche betritt.
Seit einem halben Jahrhundert bereiten sich immer wieder Astronauten in dem Krater in Deutschland, der 25 Kilometer Durchmesser hat, auf Raumflüge vor. Die Nasa hatte erstmals 1970 Teilnehmer der „Apollo“-Mondmissionen zu Schulungen nach Nördlingen geschickt.
„Wir mussten quasi lesen lernen, dass man aus Gesteinen eine Geschichte herauslesen kann“, berichtete Gerst über die Ausbildung. „Jede Art von Gesteinen, hat eine eigene Geschichte.“ Ein Meteoriteneinschlag wie bei Nördlingen hinterlasse andere Steine als ein früherer Vulkan. Es gehe darum, dass man sich dies einprägt, damit man dann auf dem Mond relevante Gesteine erkennt.
Zuvor waren Gerst und Wilson bereits bei einer Exkursion in der Bletterbachschlucht in den italienischen Dolomiten. Im November soll der Kurs auf der spanischen Insel Lanzarote fortgesetzt werden.
Die US-Weltraumbehörde Nasa hatte zuletzt zweimal einen unbemannten Start im Zuge der Mondmission „Artemis“ wegen technischer Probleme abgesagt. Ende September ist nun ein neuer Start geplant. Die Schwierigkeiten, die aufgetreten sind, beunruhigen Gerst nicht. Es handele sich um ein Testsystem und da sei so etwas normal. „Einen Fehlstart fände ich schlimm, aber ein kleines technisches Problem wiederum gar nicht“, sagte er.
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