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Veröffentlicht am 10.06.2022 05:02

Gelten Berufsabschlüsse für immer?

Ist die Berufspraxis schon sehr lange her, können Arbeitnehmer für Arbeitgeber auch den Status von Ungelernten haben. (Foto: Christin Klose/dpa-tmn)
Ist die Berufspraxis schon sehr lange her, können Arbeitnehmer für Arbeitgeber auch den Status von Ungelernten haben. (Foto: Christin Klose/dpa-tmn)
Ist die Berufspraxis schon sehr lange her, können Arbeitnehmer für Arbeitgeber auch den Status von Ungelernten haben. (Foto: Christin Klose/dpa-tmn)

Auf der Suche nach geeignetem Personal verfährt Silvia Müller (Name geändert) mittlerweile flexibel. Das muss sie sein. Auch in ihrer Branche fehlen ausgebildete Mitarbeiter. Sie ist Geschäftsführerin eines Speditions- und Logistikunternehmens.

„Ein Disponent ist uns aus privaten Gründen weggebrochen und wir brauchten ziemlich zeitnah Unterstützung“, sagt sie. Deshalb stellte sie jemanden ein, der als sogenannter Berufsrückkehrer gilt. Das sind Menschen, die einen Beruf gelernt, aber viele Jahre nicht darin gearbeitet haben.

Die Gründe dafür können vielfältig sein. Die häufigsten sind Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Arbeitslosigkeit. Und sie betreffen meistens Frauen. Silvia Müller wusste, dass ihr neuer Disponent wegen der Ausbildung eine Idee davon hatte, worum es in einer Spedition geht. „Darum haben wir die Option genutzt, jemanden neu aufzubauen, der einen Grundstock an Wissen hat“.

Doch die Realität sieht zum Teil anders aus. „Wenn Kundinnen und Kunden mehr als vier Jahre nicht mehr im erlernten Beruf tätig gewesen sind, gehen wir von einer Berufsentfremdung mit gesunkenem Kenntnisstand aus“, sagt Vanessa Thalhammer von der Bundesagentur für Arbeit. Je nach Einzelfall mache das eine Vermittlung unwahrscheinlicher.

Das deckt sich mit der Erfahrung von Alexander Bredereck. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht ist der Meinung, dass jemand bei einer längeren Pause praktisch von vorne anfangen muss. Viele Arbeitgeber würden sogar ausgebildete Fachkräfte nur als Ungelernte einstellen, wenn die Berufspraxis zu lange her ist. Den Zeitraum legen sie laut Bredereck selbst fest.

Trotzdem gilt: „Einen Verfall von Berufs- und Studienabschlüssen gibt es in Deutschland nicht. Sie sind ein Leben lang gültig“, sagt Robert Schweizog, der bis vor Kurzem die Position als Geschäftsführer Bildung und Fachkräfte bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Nordrhein-Westfalen innehatte.

„Wenn die Gültigkeit befristet wäre, müsste das im Berufsbildungsgesetz geregelt sein. Ist es aber nicht.“ Gleichzeitig schränkt er ein, dass ein Zeugnis kein Nachweis sei, dass die beruflichen Kompetenzen weiterhin vorliegen. Vielmehr zeige es bloß, dass sie zum Zeitpunkt der Prüfung vorhanden waren.

Spediteurin Silvia Müller hat bis vor einigen Jahren Bewerber bevorzugt, die im Job stehen oder ihre Laufbahn nur kurzzeitig unterbrochen hatten. Bei ihrem neu eingestellten Disponenten hat sie daher besonders auf dessen soziale Kompetenzen und die Motivation geschaut. Und, wie schnell er sich das Wissen wieder aneignen kann.

Ob Abschlüsse begrenzt gültig sein sollten, hängt für sie vom Beruf ab. „Ich denke, ein Kraftfahrer, der gelernt hat, das Fahrzeug zu bedienen, zu be- und entladen, so ein Berufsabschluss hat aus meiner Sicht eine längere Gültigkeit als ein kaufmännischer“. Auf diesem Gebiet verändere sich technologisch, strukturell und rechtlich momentan viel.

Für lebenslang gültige Berufsabschlüsse ist Jasna Rezo-Flanze, Weiterbildungsberaterin bei der IHK in Köln. Allerdings dürfe man sich nicht darauf ausruhen. Für sie ist eine Ausbildung wie ein Haus. „Wenn man nicht daran arbeitet, verfällt es.“ Viele Berufsbilder veränderten sich rasant, vor allem wegen der Digitalisierung.

Sie empfiehlt, nach einer längeren Auszeit zu schauen, was sich in der Zwischenzeit verändert hat. „Vieles kann man aktuellen Stellenanzeigen entnehmen oder sich direkt beraten lassen. Dann erfährt man, was gefordert wird“.

Zudem gibt es Berufe mit Fortbildungspflichten. Das sagt der Präsident des Verbandes deutscher ArbeitsrechtsAnwälte (VdAA), Michael Henn. Fachanwälte wie er müssten sich beispielsweise 15 Stunden jährlich in ihrem Rechtsgebiet fortbilden. Ohne diesen Nachweis würde ihm der Titel „Fachanwalt für Arbeitsrecht“ wieder entzogen.

Wer sich nach längerer Pause im Beruf unsicher ist, ob die gelernten Kompetenzen noch ausreichen, kann sich fördern lassen. Örtlichen IHKs und die Agenturen für Arbeit unterstützen etwa mit Bildungsscheck oder einer Anpassungsqualifizierung.

Sie hilft, das Wissen aus dem gelernten Beruf auf den neuesten Stand zu bringen und erhöht die Aussicht, wieder in die alte Tätigkeit zurückzukehren.

Doch selbst wenn das klappt, benötigen Unternehmen finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen, um Rückkehrende neu anzulernen. Laut Robert Schweizog haben sie wegend des Fachkräftemangels derzeit aber nicht immer die Wahl. Unternehmen geben Berufsrückkehrern demnach vermehrt eine Chance, auch wenn sie zunächst investieren müssen.

© dpa-infocom, dpa:220609-99-605078/3

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