Fasten im Kloster: Selbstfindungstrip mit dem Suppenlöffel | FLZ.de

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Veröffentlicht am 21.02.2022 04:23

Fasten im Kloster: Selbstfindungstrip mit dem Suppenlöffel

Die Richterhöhe ist mit 507 Metern die höchste Erhebung des Mönchsbergs in Salzburg. (Foto: Anita Arneitz/dpa-tmn/Archivbild)
Die Richterhöhe ist mit 507 Metern die höchste Erhebung des Mönchsbergs in Salzburg. (Foto: Anita Arneitz/dpa-tmn/Archivbild)
Die Richterhöhe ist mit 507 Metern die höchste Erhebung des Mönchsbergs in Salzburg. (Foto: Anita Arneitz/dpa-tmn/Archivbild)

Kirchenläuten. Kuhglocken. Klospülung. Und das Rotorengeräusch des Rettungshubschraubers. Das sind die wenigen Geräusche, die die Stille im Johannes-Schlössl der Pallottiner in Salzburg durchbrechen. Dorthin hat es mich für eine Woche verschlagen, um abzuschalten.

Denn Arbeit, Stress, das Virus und das Essen - all das war zuletzt zu viel. Ich sehnte mich nach Ruhe. Abgeschottet von der Welt, nichts hören und nichts sehen. Abstand gewinnen, um mir selbst näher zu sein. Das mit dem Fasten hat sich dann so ergeben. Genauso wie der Ort.

Das Kloster liegt versteckt im Grünen auf dem Mönchsberg - und zu seinem Fuße das Krankenhaus. Für einen Fastenneuling wie mich irgendwie beruhigend. Denn vor meinem Trip höre ich viele Schauermärchen übers Fasten. Erbrechen, Nervenzusammenbrüche, Schwindel - all das hält mich nicht davon ab, einzuchecken.

Ein paar Tage vor dem Fasten kommt eine ausführliche E-Mail. Einfach hinfahren und loslegen ist nicht. Man solle doch schon vor der Anreise beginnen, auf Kaffee zu verzichten. Ich bin motiviert und steige um auf Tee. Die Packliste für den Aufenthalt ist lang: Wanderstöcke, Wärmflasche, Trinkflasche, Thermoskanne. Ich schleppe so viel Zeug mit, dass damit locker drei Wochen Survival-Training im Dschungel drin gewesen wären.

Bei der Anreise bin ich die Erste. Ich nutze den Vorsprung und erkunde die Umgebung. Ohne Plan, komplett unvorbereitet und hungrig. Seit den frühen Morgenstunden knurrt der Magen. Und im Wochenplan ist kein Abendessen vorgesehen. Das löst ein wenig Unbehagen aus. Unterwegs habe ich mir nicht einmal etwas zu trinken gekauft, und mein Zimmer, in dem ich mich vor den Verlockungen der Welt verstecken kann, ist erst später bezugsfertig.

Ich streife durch den Wald, in der Hoffnung, irgendwo ein Gasthaus zu finden. Schließlich lande ich vor dem Museum der Moderne. Urplötzlich scheint die Kraft zurück in den Körper zu kehren. Denn die logische Schlussfolgerung: wo ein Museum, da auch ein Shop. Und richtig: Es gibt ein Terrassencafé.

Die Sonne scheint, die Aussicht ist grandios. Unter mir breitet sich die Salzburger Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen aus, daneben scheint die ehrwürdige Festung zum Greifen nahe. Wie gerne hätte ich jetzt etwas zwischen den Zähnen. Aber ich wage mich nicht ins Café. Stattdessen schlendere ich durch den Shop. Ein Getränk tut es auch. In der Auslage: Postkarten, Kunstdrucke und hübsche Notizblöcke. Aber nichts, um meinen Magen zu beruhigen. Ich kaufe eine Eintrittskarte fürs Museum.

Erster Stock: Frida Kahlo und Marylin Monroe beschäftigen mich. Es geht um Spuren. Welche möchte ich hinterlassen? Wann ist der entscheidende Augenblick? Etwa jetzt? Gibt es schöne Fehler? Ich gehe weiter und sehe ein Foto von einer Kuh - sofort schießt mir ein knuspriges Schnitzel in den Sinn. Zweiter Stock: Hier geht’s zum Café, vor dem ich bereits stand. Dritter Stock: Ich bin begeistert von der multimedialen Ausstellung.

Aber die Begeisterung nährt eben nur die Sinne, nicht meinen knurrenden Magen. Also sitze ich zwei Stunden später dann doch auf der Terrasse und bestelle Saft und klare Suppe.

Zurück im Kloster: Die Zimmer des Gästehauses sind schlicht, ohne TV, dafür groß, mit eigenem Bad und Blick in den Garten. Es wird schnell zum privaten Rückzugsgebiet. Ich packe meinen Koffer aus und lege meine Notfallkekse auf den Schreibtisch.

Der Hälfte der inzwischen vollständigen Reisegruppe war nicht bewusst, dass sie ein Fastenseminar gebucht hat. Auch mir nicht. Das dichte Wochenprogramm überrascht. Es lässt kaum Freiraum. Nach dem obligatorischen Kennenlernen geht’s zum gemeinsamen Saft löffeln. Das Abendessen ist ein Glas gepresster Apfel mit Karotte und Rübe. Ich bin froh, am ersten Tag überhaupt etwas zu bekommen und löffle mehr als 20 Minuten an meinem Saft.

„Der Trick ist die Langsamkeit“, sagt der Fastenleiter und Qigong-Lehrer Alexander Steinberger. Jeder Löffel wird bewusst und achtsam geschlürft. Es gilt, aus dem Wenigen so viel wie möglich herauszuholen. Dann die große Entscheidung: Wer nimmt am Hardcore-Fasten mit Saft und Suppe nach Buchinger teil? Wer wählt die leichtere Basenfasten-Variante? Ich oute mich als Weichei und entscheide mich für das Basenfasten.

Längst hat sich dichter Nebel über meine Gedanken gelegt und der Kopf pocht. Ich schütte eine Tasse Wermut-Tee in mich hinein und lege mich ins Bett. In der Nacht träume ich so intensiv wie lange nicht. Am Morgen habe ich das Gefühl, neben mir zu stehen.

Das Frühstück ist ein Lichtblick und wirkt wie Völlerei: Apfel, Banane, Tomaten, Gurken. Dazu ein süßes Mus aus Pflaumen, Datteln und Rosinen. Noch eine Tasse Tee, dann geht’s zum Wandern - mehrere Stunden, jeden Vormittag. Die Ziele sind Sehenswürdigkeiten in oder rund um Salzburg: Schloss Leopoldskron, Schloss Hellbrunn, die Wallfahrtskirche Maria Plain oder der Kapuzinerberg. Fasten mit Sightseeing sozusagen.

Bewegung lenkt ab. Doch in der Gruppe finde ich meinen Rhythmus nicht. Deshalb laufe ich die Tage darauf auf eigene Faust los. Das funktioniert. Alleine bin ich mehr bei mir. Ich kann das Gehörte und Gefühlte so besser einordnen. Andere brauchen die Unterhaltung und die Gesellschaft. Schließlich spielt die Gruppendynamik beim Fasten eine wichtige Rolle. Das Wir und der Austausch tragen über schwere Stunden hinweg.

Der erste Fastentag ist für mich eine Achterbahnfahrt: Stündlich fühle ich mich anders. Überwiegend aber nicht gut. Ich bin ausgelaugt und erschöpft. Bei der Mittagsruhe schlafe ich sofort ein - mit dem ersten Leberwickel meines Lebens. Ob er hilft? Keine Ahnung. Daheim ist ein Nachmittagsschläfchen unvorstellbar. Im Kloster falle ich in den Tiefschlaf.

Am zweiten Tag fühlt es sich an, als wäre ich bereits drei Wochen hier. Nachmittags suche ich den spirituellen Impuls mit Pater Rüdiger Kiefer. Seine Worte berühren. Alle sind da, weil sie etwas verloren haben, etwas loswerden, etwas suchen oder etwas finden wollen. Manchmal geht’s ums Gewicht, in Wahrheit aber um viel mehr. Der Pater nimmt sich Zeit für ein Gespräch über Gott und die Welt.

Der Kopfschmerz ist weg. Ich freue mich aufs Mittagessen, die Sonne und den Garten. Die Klostermauern geben Halt. Der Fastennebel lichtet sich. Ich höre auf meinen Körper und meine Seele. Der Hunger? Der ist da. Aber nicht so aufdringlich wie befürchtet. Ein halber Apfel und ich bin satt. Es fühlt sich nicht an wie Verzicht, weil ich meinen Fokus auf das lenke, was da ist und nicht auf das, was fehlt.

Während wir Rote-Bete-Suppe löffeln, bekommen die anderen Hausgäste Sachertorte serviert. Ein Pater kommentiert das lächelnd als Übung in Askese. Wäre niemand im Raum, hätten sich zwei Fastende längst auf den schokoladigen Genuss gestürzt. Mir macht der Anblick nichts. Ich freue mich über unseren großen Teller mit Gemüse.

Es schmeckt himmlisch. Die Gespräche am Tisch drehen sich immer ums Essen. Ich hätte nicht gedacht, dass es übers Fasten so viel zu sagen gibt. Die Hardcore-Faster sehen inzwischen nicht mehr so fit aus. Sie haben Glaubersalz getrunken, um den Darm von Giftstoffen zu befreien. Das ist beim Basenfasten nicht notwendig.

Am dritten Tag schreibe ich alles nieder, was mich bewegt. Endlich darf auch raus, was im Kopf ist: giftige Erinnerungen und Gedanken, die nicht mehr gebraucht werden. Das beruhigt den Geist. Schließlich geht’s beim Fasten ums Loslassen und neu Ordnen. Abends heißt es: Suppe löffeln, Dachterrasse besichtigen, Spaziergang im Finsteren und Vortrag.

Die Stimmung bei den Fastenteilnehmern nach Buchinger scheint am Boden zu sein. Typisch. Es ist der dritte Tag. Da ist es am schlimmsten. Ich ergreife die Flucht. Nach 20 Uhr bin ich weder aufnahmefähig noch gruppenkompatibel.

Der Hunger wird weggetrunken. Drei bis vier Liter Wasser und Tee über den Tag verteilt - eine unglaubliche Menge für mich. Inzwischen habe ich meinen Rhythmus gefunden. Beim Mittagstisch werden euphorisch Pläne geschmiedet. Die Stimmung steigt, die Teilnehmerzahl bei Gruppenaktivitäten sinkt. Ich bin nicht mehr die Einzige, die ihren eigenen Weg gehen will.

Ich ziehe Tag für Tag meine Runde im Wald und mache Yoga im Zimmer. Das bringt den Kreislauf nach dem Leberwickel in Schwung. Die Energie kommt zurück. So halte ich durch. Am Abreisetag liegen die Notfallkekse noch immer ungeöffnet auf meinem Schreibtisch. Ich werde sie nicht mehr brauchen. So schlimm ist Fasten doch nicht.

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© dpa-infocom, dpa:220218-99-190252/4

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