Helge Schneider bleibt sich treu: Der Jazzmusiker und Multiinstrumentalist greift auch auf seinem neuen Album „Torero“ Alltagsepisoden auf - musikalisch ausgefeilt und natürlich nicht ohne schräge Schneidersche Brüche mitten im Stück.
Trotz des unverwechselbaren Sounds gibt es Überraschungen: Etwa „The Wizard“, eine Art Hörspiel. Eingebettet in einen süßlichen Klangteppich schildert Schneider darin akustisch-hyperrealistisch die Begegnung eines müssenden Mannes mit dem Toilettenpersonal einer Autobahn-Raststätte. „Junger Mann, sie können hier nicht durchgehen, ich wische hier, sie sehen es doch“, heißt es darin.
„The Wizard“ sei eine kritische Auseinandersetzung mit der „Muzak“ genannten Hintergrundmusik, erklärt Schneider im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. „Diese Musik hörst du als Berieselung auf Autobahn-Toiletten, mit Regenwaldgeräuschen und Kakadus und so etwas.“ Er habe einfach mal darauf hinweisen wollen, wozu Musik auch missbraucht werde. „Ich weiß nicht so genau, was ich als Musiker selber davon halten soll, ehrlich gesagt. Weil man ja auch Beethoven oder Chopin auflegen könnte.“
Der Name der neuen Schallplatte - Schneider sagt immer „Schallplatte“ zu seinen Alben - greift den Titel des ersten Songs auf: „The Last Torero“. Das Cover zeigt Schneider in einem Stierkampf-Kostüm. „Den Toreroanzug habe ich in Berlin in einem Secondhandshop gekauft. Der Verkäufer hat noch gesagt: Der letzte Torero. Und da habe ich gedacht, da muss ich einen Song draus machen.“ Es sei ein echtes Kostüm. „Die Ärmel kann man ganz abziehen. Bei einer Verletzung kann man sofort dran. Man muss nicht die Jacke ausziehen.“
Das Album enthält acht Stücke, darunter auch ein Instrumental. Es geht etwa um Menschen, die gerne essen (The Eater), oder um einen ganzen Berufsstand, der immer an allem Schuld ist (The Guilty Doctor). Auch (unerfüllte) männliche Sehnsüchte sind gerne Thema: In „American Bypass“ etwa singt Schneider, wie sich ein Mann am Strand „ad hoc“ in eine schöne Frau verliebt: „Ich wollte zeigen, was ich kann, ich zog mich aus, dann sprang ich in das wilde Meer, es war sehr kalt. Du - schautest weg.“
Auch in einem Stück mit dem verheißungsvollen Titel „L.O.T.C.“ für „Love on the couch“ gibt es kein klassisches Happy-End: „Wir haben es uns gemütlich gemacht auffe Couch. Du nimmst zärtlich meine Hand und führst sie - in die Tüte mit Erdnussflips.“ Später kommt dann noch eine selbstgestickte Decke von Tante Erna von 1959 ins Spiel. Bloß keine Romantik.
Mitgemacht hat erneut der Musiker Sandro Giampietro, mit dem der Mülheimer schon viele Jahre zusammenarbeitet. „Ich wollte gar nicht unbedingt eine Platte machen, aber dann haben wir erstmal so zwei Stücke gemacht, die wir schon kannten. Er spielt also Gitarre, die Akkorde, den Rhythmus. Und ich spiele dazu Klavier und singe. Die restlichen Instrumente habe ich nachher drauf gespielt.“ Im Background von zwei Stücken ist auch der frühere Wallenstein-Sänger Kim Merz („Charline“) zu hören.
Die neuen Songs gibt es auch live. Seit Mitte Februar tourt Schneider mit einer Band durch Deutschland. „Der letzte Torero. Big L.A. Show“ ist der Titel der Tournee. Rund 80 Auftritte sind geplant. Auch außerhalb der Tour will Schneider spielen: Am 7. Juli plant der Jazz-Musiker mit dem Folkwang Jazz Orchestra einen Open-Air-Auftritt an der Villa Hügel in Essen, dem einstigen Wohnsitz der Industriellenfamilie Krupp. Das nächste Album ist auch schon in Arbeit: Eine „Jazzplatte“ soll es werden, sagt er.
Schneider ist jetzt 67 Jahre alt. Ans Aufhören denkt er aber noch lange nicht: „Eigentlich bin ich ja Rentner, aber ich liebe meinen Beruf. Ich kann mir nicht vorstellen, damit jemals aufzuhören.“ Für sein Publikum spielt sein Alter auch keine Rolle: „Die Leute, die zu meinen Konzerten kommen, denken, ich wäre genauso alt wie sie, egal wie alt sie sind.“
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