Landshut/München (dpa/tmn). Große Displays, Head-up-Displays, Sprach- und Gestensteuerung - die Bedienung von Autos wird stetig digitaler. Und damit auch einfacher und sicherer? Einige Experten meinen, dass bei zu vielen digitalen Angeboten die Gefahr für mehr Ablenkung bestehen kann. Damit steigt das Risiko von Unfällen.
„Mit mehr Funktionen im Fahrzeug steigt die Anzahl an Bedienelementen und damit die Komplexität“, sagt Professor Dieter Nazareth als Leiter des Studiengangs Automobilinformatik an der Uni Landshut.
Häufig sei es nicht mehr möglich, in ein unbekanntes Auto zu steigen und direkt loszufahren. Der Ort für den Gangwahlhebel oder Blinker kann sich zwischen den Marken, aber auch den Modellen einer Marke unterscheiden.
So sind viele gewohnt, etwa die Fahrmodi bei Automatik- oder E-Autos immer noch relativ klassisch etwa über einen Lenkstockhebel zu wechseln. Beim neuen Tesla Model 3 etwa passiert das allerdings über den Touchscreen oder über Taster in der Dachkonsole. „Das müssen Fahrer wissen, ebenso, dass die Blinker über Tasten am Lenkrad aktiviert werden“, sagt Professor Nazareth. Im Kreisverkehr sei damit ein Blinken so gut wie unmöglich.
Das Sicherheits-Konsortium Euro NCAP hat daher angekündigt, ihre Bewertungskriterien ab 2026 zu ändern. Damit möchte sie Hersteller aufrütteln und ermutigen, „separate, physische Bedienelemente für Grundfunktionen auf intuitive Weise zu verwenden“.Wichtige Bedienelemente wie Blinker, Hupe, Scheibenwischer, SOS-Notruf und Warnblinker sollen möglichst (wieder) als physische Bedienelemente verbaut werden. Die maximal fünf Sterne gibt es dann nur noch mit Tasten. Die Tests sind aber nicht gesetzlich vorgeschrieben, sondern dienen Verbrauchern zur Orientierung.
Generell nehme die Qualität der Bedienung ab, wenn keine haptischen Tasten verwendet werden, so Dieter Nazareth. „Bei einem Touchscreen können sich Nutzer nicht haptisch dem gewünschten Schaltelement mit ihrem Finger nähern, sondern diesen nur direkt aus der Luft versuchen zu treffen. Eine blinde Bedienung ist damit ausgeschlossen“, sagt der Experte.
Aber am Steuer darf man sich während der Fahrt nicht ablenken lassen. So schreibt es auch der Gesetzgeber hinsichtlich der Bedienung elektronischer Geräte wie etwa Berührungsbildschirme oder Navigationsgeräte in der Straßenverkehrsordnung (StVO) im Paragraf 23 vor.
Es ist hier grundsätzlich nur „eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen“ erlaubt. Die Geräte dürfen nicht in die Hand genommen werden oder müssen sprachgesteuert sein. Eine zeitintensive Bedienung des Touchscreens mit der Suche in Untermenüs schließt sich damit aus.
Autohersteller sind angehalten, die Ablenkung zu minimieren. BMW setzt bei seiner neuen Fahrzeug-Architektur „Neue Klasse“ daher auf einen Mix aus Schaltern, Tasten und einer breiten Projektion in der Frontscheibe.
Statt eines großen, digitalen Cockpits hinter dem Lenkrad nutzt BMW bei dem Panoramic Vision eine schmale Anzeigeleiste am unteren Rand der Windschutzscheibe. Wichtige Fahrinformationen liegen vor dem Fahrer, weitere lassen sich als Widgets in die Projizierung einblenden.
Man muss nicht mehr auf das mittlere Display schauen, sondern findet die meisten Infos im eigenen Sichtfeld. Fahrzeugwarnungen können den Fahrer nach Dringlichkeit dominant oder dezent auf den Fehler hinweisen.
„Bei einem Plattfuß warnen wir den Fahrer im Sichtfeld des Panoramic Vision, bei niedrigem Wischwasserstand im mittleren Display. Das wäre mit analogen Instrumenten nicht möglich“, sagt Jörn Freyer, UX/UI-Entwicklungsleiter bei BMW. Das erste Modell der neuen Fahrzeuggeneration in Form des iX3 soll Ende des Jahres auf den Markt kommen.
Über das mittlere Display lassen sich weitere Funktionen auswählen, wie auch über das Multifunktionslenkrad, die Sprachsteuerung oder klassische Bedienelemente. „Die bieten nach wie vor Vorteile“, sagt Jörn Freyer. Sitze, Scheinwerfer, Lautstärke oder die Tasten für Heckscheibenheizung und Heizung lassen sich manuell einfacher bedienen – selbst mit dicken Handschuhen im Winter.
Schon einmal veränderte BMW die Menüführung in der Autoindustrie - 2001 mit dem Dreh-Drück-Steller „iDrive“ -, um einfacher durch ein immer komplexeres Menü zu navigieren. „Das war damals notwendig, weil die Funktionen in der neuen 7er-Generation im Vergleich zum Vorgänger deutlich zugenommen haben“, sagt FReyer. Statt 35 Anzeigen und 65 Bedienelemente hinter dem Lenkrad reduzierte BMW sie auf 15 und 28 Elemente.
Ganz auf haptische Bedienelemente kann kein Auto verzichten, wie bei Gaspedal, Bremse, Lenkrad und eventuell Kupplung. „Pedale bieten eine haptische und saubere Rückmeldung am Fuß und reagieren schneller als eine Sprachsteuerung. Zeitkritische Befehle lassen sich nicht per Sprache geben“, sagt Nazareth. Ein Auto komplett über Sprache zu steuern, sieht er daher nicht.
Dennoch stecke viel Potenzial in der Sprachsteuerung, mittels künstlicher Intelligenz. „Die heutige Sprachsteuerung funktioniert nur über bestimmte Keywords und richtige Befehle. Künftig werden sich Funktionen über natürliche Sprache bedienen lassen“, sagt er.
Auch bei VR, Augmented Reality und Displays werde sich in den nächsten Jahren einiges tun. „Künftige, flexible Displays werden mehr Möglichkeiten der Anzeige bieten, ebenso wie Mini-Beamer“, sagt Nazareth.
Aber auch einen Rückwärtstrend zu mehr haptischen Elementen sei möglich. „Touchscreens und andere Displays wurden nicht eingeführt, weil sie besser, sondern weil sie günstiger als viele Schalter und Hebel sind“, sagt Nazareth.
Mehr Schalter und Tasten können daher auch ein Zeichen von Hochwertigkeit und Qualität sein. Volkswagen reagierte auf Kritik seiner Kunden bei Golf, Tiguan und Passat. Beim VW Golf 8 ersetzen nach der Modellpflege haptische Tasten am Lenkrad die kleinen Touchscreen-Felder des Vorgängers.
Und beim neuen Hypersportwagen Tourbillon von Bugatti setzt der französische Hersteller nahezu vollständig auf analoge Anzeigen. Kleiner Nachteil für alle, die so etwas mögen: Trotz des Preises von 4,52 Millionen Euro ist der Tourbillon längst ausverkauft.
© dpa-infocom, dpa:250318-930-407749/1