Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland nimmt weiter kräftig zu. Im Juli beantragten fast ein Viertel (23,8 Prozent) mehr Firmen Regelinsolvenzverfahren als im Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt am Freitag nach vorläufigen Angaben in Wiesbaden mitteilte. Damit setzte sich der Aufwärtstrend der vergangenen Monate fort. Schon im Juni gab es einen Anstieg um 13,9 Prozent. Vielen Unternehmen machen die Konjunkturflaute, hohe Kosten etwa für Energie und Materialien sowie gewachsene Kreditkosten wegen des Zinsanstiegs zu schaffen. Experten sehen aber keine Pleitewelle.
Das Statistische Bundesamt betonte, dass die Regelinsolvenzverfahren erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts in die Statistik einfließen. Daher liege der tatsächliche Zeitpunkt des Insolvenzantrags in vielen Fällen rund drei Monate davor.
Endgültige Zahlen liegen für den Mai vor. In dem Monat meldeten die deutschen Amtsgerichte 1478 beantragte Unternehmensinsolvenzen, 19 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Die Forderungen der Gläubiger bezifferten die Amtsgerichte auf knapp 4 Milliarden Euro. Das war nach Angaben des Statistischen Bundesamts fast doppelt so viel wie im Mai 2022 mit fast 2,2 Milliarden Euro. In diesem Mai gab es zudem 5679 Verbraucherinsolvenzen, 3,7 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.
Die meisten Insolvenzen je 10.000 Unternehmen entfielen auf die Branche Verkehr und Lagerei mit 8,7 Fällen, gefolgt von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen, etwa Zeitarbeitsfirmen, mit 7,4 Fällen. Die wenigsten Insolvenzen gab es in der Energieversorgung.
„Trotz deutlichem Anstieg der Unternehmensinsolvenzen im Juli sehen wir nicht die vielfach erwähnte Insolvenzwelle“, sagte Christoph Niering, Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID). Das Insolvenzgeschehen sei in der Pandemie von staatlicher Seite deutlich abgemildert worden, nun sei vor allem eine Normalisierung zu beobachten - ausgehend von einer niedrigen Ausgangsbasis, wie der Verband betont. „Die Zahlen liegen noch unter den Werten des wirtschaftlich guten Jahres 2019.“
Die Bundesregierung hatte Insolvenzantragspflichten in der Corona-Pandemie teilweise ausgesetzt, um eine Welle von Pleiten zu verhindern. Dies sowie Staatshilfen im großen Stil hatten die Zahl der Firmenpleiten in den vergangenen Jahren auf niedrigem Niveau gehalten - trotz Pandemie und Energiekrise. Seit August 2022 nimmt die Zahl der Firmeninsolvenzen wieder kontinuierlich zu. Für das laufende Jahr hatten Experten einen Anstieg erwartet, unter anderem weil für viele Betriebe die Rückzahl von Corona-Hilfen bevorsteht.
Niering sieht in den aktuellen Zahlen keinen Indikator für einen langfristigen Insolvenzanstieg, sondern Nachholeffekte. Viele der jetzt von Insolvenz betroffenen Firmen hätten sich schon vor der Pandemie in Schwierigkeiten befunden. „Durch die Vielzahl staatlicher Hilfen während der Pandemie und des Ukrainekriegs wurde bei diesen Unternehmen der Eintritt in die Insolvenz nur aufgehalte. Jetzt sehen wir die Marktbereinigung, die mit einer Insolvenz einhergeht.“
Schon am Donnerstag hatte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hohe Insolvenz-Zahlen für den Juli festgestellt. Im Zuge der in dem Monat gemeldeten Insolvenzen waren demnach allein bei den größten zehn Prozent der Firmen rund 9300 Arbeitsplätze betroffen, vor allem in Industrie und Handel.
In den vergangenen Monaten hatten sich gerade im Mode- und Schuhhandel Pleiten prominenter Namen gemehrt. Die Branche leidet unter der Konsumzurückhaltung der Verbraucher in der Inflation. So musste die Schuhgeschäftkette Reno Insolvenzantrag stellen, für die Modekette Hallhuber wurde Ende Juli ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Und im März suchte der Modehändler Peek & Cloppenburg Düsseldorf Rettung in einem Schutzschirmverfahren.
„Schließungen großer Arbeitgeber führen zu hohen und dauerhaften Lohnverlusten bei den Beschäftigten“, warnt das IWW. Für die kommenden Monate ist Institut aber zuversichtlich. Die jüngsten hohen Zahlen markierten das vorläufige Ende des Insolvenzanstiegs, glaubt IWH-Insolvenzexperte Steffen Müller. „Für die Monate August und September erwarten wir keinen wesentlichen Anstieg der Insolvenzzahlen.“
Der Kreditversicherer Allianz Trade hat nach früheren Angaben einen deutlichen Anstieg der Firmenpleiten in diesem Jahr um 22 Prozent erwartet. So seien Geldhäuser im Zuge der Bankenturbulenzen im Frühjahr restriktiver bei der Kreditvergabe geworden. Eine Pleitewelle sah aber auch Allianz Trade nicht. Die Fallzahlen dürften fünf Prozent unter dem Niveau von vor der Pandemie 2019 bleiben.
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