2024 ist ein Superwahljahr: Neben der US-Präsidentschaftswahl und dem Urnengang für das Europäische Parlament stehen in Ostdeutschland drei richtungsweisende Landtagswahlen an. Nach dem Verfassungsschutz warnt nun auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor Versuchen, durch Desinformationen Einfluss auf anstehende Wahlen zu nehmen.
Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass 81 Prozent der Deutschen Desinformation im Internet als Bedrohung für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt betrachten. 67 Prozent machen sich Sorgen, dass Desinformation den Ausgang von Wahlen beeinflussen könnte. Der Internationale Faktencheck-Tag am Dienstag (2. April) legt das Augenmerk auf die Reichweite und den Einfluss von Falsch-Informationen im Netz.
Expertinnen wie Cathleen Berger von der Bertelsmann-Stiftung und Pia Lamberty vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) warnen vor gezielten Desinformationskampagnen. Berger sieht darin den Versuch, „demokratische Diskurse zu manipulieren“.
Ein Beispiel: In regelmäßigen Abständen werden vollkommen unseriöse Wahlumfragen kolportiert. Im Januar etwa freute sich der AfD-Bundestagsabgeordnete Marc Bernhard über vermeintliche Projektionen, wonach sich seine Partei in Baden-Württemberg mit 26 Prozent der Wählerstimmen fast gleichauf mit der CDU befinde. Mitte März wiederum verbreitet sein bayerischer Parteifreund Andreas Winhart, dass die AfD angeblich „mit bundesweit 21 Prozent bei den Zweistimmen nur noch zwei Prozent hinter der CDU“ liege.
So werden Umfrage-Höhenflüge suggeriert, die es in echt gar nicht gibt. Denn die vermeintlichen Werte sind vor allem eins: überhaupt nicht valide. Hinter ihnen steckt das undurchsichtige Institut „PrognosUmfragen“, das seine Methodik und Finanzierung nicht transparent macht. Bei seriösen und anerkannten Instituten wie Infratest dimap oder Forsa liegt die AfD in beiden genannten Fällen mit großem Abstand hinter der CDU.
Gerade das Erstarken der extremen Rechten in weiten Teilen Europas macht nach Lambertys Ansicht die Gesellschaft empfänglicher für Desinformation. Die Co-Geschäftsführerin von Cemas, das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht, erwartet solche Versuche auch aus dem Ausland wie Russland.
Das Bundesinnenministerium (BMI) sieht auch Deutschland im Fadenkreuz russischer Einflussaktivitäten, die vor allem darauf abzielten, „Vertrauen in die Handlungsfähigkeit und Kompetenz europäischer Institutionen zu untergraben und vorhandene Spaltungspotenziale in der Gesellschaft zu vertiefen“, so eine Sprecherin. Aktuell steht die prorussische Seite „Voice of Europe“ im Fokus, gegen deren Betreiber die tschechische Regierung Sanktionen verhängte. Das Portal hatte unter anderem Interviews mit den Politikern Maximilian Krah und Petr Bystron verbreitet, die Platz eins und zwei auf der AfD-Liste zur Europawahl einnehmen.
Desinformationskampagnen sind dabei alles andere als Schnellschüsse. Sie „bereiten in der Regel über längere Zeiträume hinweg einen Nährboden“, erklärt Expertin Berger - und veranschaulicht das: Bevor es zum Anzweifeln von Wahlergebnissen komme, würden gesellschaftlich kontroverse Themen wie Klimakrise, Krieg oder Genderidentitäten über Extrempositionen emotionalisiert.
So ist zum Beispiel seit Jahren in sozialen Medien die krude Falschbehauptung nicht tot zubekommen, die Grünen planten ein generelles Verbot von Hunden, Katzen und anderen Haustieren, um das Klima zu schützen. Dieser Fake waberte bereits vor der letzten Bundestagswahl 2021 durch die dunklen Echo-Räume.
Besorgniserregend ist, dass viele anfällig für Manipulationen sind. Nach einer Erhebung der Initiative D21, eines Netzwerks für die digitale Gesellschaft, kann fast ein Drittel der Befragten mit dem Begriff Desinformation wenig anfangen - oder kennt ihn gar nicht. „Dann werden Wissenslücken mit eigenen Haltungen und Ideologien gefüllt“, erklärt Lamberty.
Beispiele wie der Wahlkampf von Jair Bolsonaro in Brasilien oder von Donald Trump in den USA zeigen, dass das Vertrauen in demokratische Prozesse besonders dann geschwächt wird, wenn die Kandidaten selbst Misstrauen säen. Dass Trumps Lügen über vermeintliche Wahlfälschungen konkrete Folgen haben, zeigt der gewalttätige Sturm auf das Kapitol im Januar 2021. Für einen solchen Schaden hat Desinformation hierzulande bislang nicht gesorgt. Dennoch geht Lamberty davon aus, dass solche Erzählungen in einzelnen Milieus „ihren Beitrag zur Radikalisierung leisten“.
So haben bei vergangenen Wahlen Verschwörungsideologen und Rechtsradikale versucht, Behauptungen zu einem weitreichenden Wahlbetrug zu verbreiten - teils auch mithilfe von AfD-Politikern. Geraunt wird viel: Briefwahlunterlagen würden ungefragt an Wahlberechtigte verschickt; Wahlzettel gingen auf dem Postweg vorsätzlich verloren; in einer Ecke gelochte Wahlzettel seien ungültig. Alles gelogen. Doch die Botschaft dahinter an die Anhänger: Die Wahlen in Deutschland sind nicht vertrauenswürdig.
So kamen etwa bei der Landratswahl im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree im Mai 2023 wieder einmal an den Haaren herbeigezogene Vorwürfe der Manipulation durch Briefwahl auf - vor allem, weil sich der SPD-Kandidat wegen der postalisch übermittelten Stimmen gegen den AfD-Konkurrenten durchsetzte. Letzterer hatte in den Wahllokalen knapp die Nase vorn. Die Wahrheit: Dem Kreiswahlleiter wurde bei der Abstimmung keine einzige Unregelmäßigkeit angezeigt.
Dass eine solche Einflussnahme unsere Demokratie in ihren Grundfesten ins Wanken bringt, verneint Expertin Berger. Die Zersetzung unserer politischen Ordnung sei aber „kein Prozess, der von heute auf morgen stattfindet“, sagt Lamberty. „Propaganda wirkt oft eher langfristig, schleichend - und gerade das macht es so gefährlich.“
Nach Recherchen des Portals „t-online“ will die Bundesregierung gemeinsam mit Frankreich und Polen „ein Frühwarn- und Reaktionssystem“ einrichten, das einen Blick auf Informationsmanipulation und Einflussnahme aus dem Ausland hat. Besonders „in Zeiten, in denen ausländische Akteure versuchen, die Grundwerte der liberalen Demokratien Europas zu unterminieren“, sei der europäische Zusammenhalt wichtig, zitiert „t-online“ das Auswärtige Amt.
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