Die Europäische Zentralbank reagiert auf die sinkende Inflation und die schwache Konjunktur im Euroraum. Die Notenbank senkt den am Finanzmarkt richtungsweisenden Einlagenzins, den Banken für bei der EZB geparkte überschüssige Gelder erhalten, um 0,25 Prozentpunkte auf 3,25 Prozent. Es ist bereits das dritte Mal dieses Jahr, dass die Zentralbank die Zinsen herabsetzt.
Jüngste Daten zeigten, dass der Kampf gegen die Inflation voranschreite, erklärte die Notenbank. Zugleich hob sie die schwache Wirtschaft in der Eurozone hervor: „Die Inflationsaussichten werden zudem durch aktuelle Konjunkturindikatoren beeinflusst, die schwächer ausgefallen sind als erwartet.“
Der Zinssatz, zu dem sich Banken Geld bei der Notenbank besorgen können, fällt ebenfalls um 0,25 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent, wie die EZB nach einer auswärtigen Sitzung in Slowenien mitteilte. Hinweise auf einen weiteren Zinsschritt im Dezember vermied die EZB. Man werde weiter datenabhängig entscheiden und lege sich nicht im Voraus auf einen Zinspfad fest, sagte Präsidentin Christine Lagarde. „Wir haben der Inflation noch nicht ganz das Genick gebrochen, aber wir kommen voran.“
Sinkende Leitzinsen stützen zeitverzögert die Konjunktur und sind eine gute Nachricht für die schwache deutsche Wirtschaft. Firmen können mit günstigeren Krediten leichter investieren und Verbraucher sich billiger verschulden - etwa Hausbauer. Sparer hingegen müssen mit niedrigeren Zinsen bei ihrer Bank auskommen und geringere Renditen etwa bei Lebensversicherungen hinnehmen.
Mit der Zinssenkung habe die EZB den Konjunktursorgen im Euroraum stärker Rechnung getragen, sagte Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes. Er warnte vor Illusionen: „Leitzinssenkungen werden die hartnäckige, weil strukturelle Wachstumsschwäche nicht beseitigen.“ Gerade Deutschland brauche wirtschaftspolitische Weichenstellungen.
„Die EZB drückt leicht aufs Tempo bei den Zinssenkungen“, sagte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. Es handle sich aber eher um einen vorsorglichen Schritt. „Das Gesamtbild zu Inflation und Konjunktur bleibt bestehen und damit auch der weitere Zinspfad, der ab Dezember eher quartalsweise Lockerungen vorsieht.“
Ökonomen hatten die Zinssenkung der EZB erwartet, denn im September fiel die Teuerungsrate dem Statistikamt Eurostat zufolge auf 1,7 Prozent. Das war noch weniger als in einer ersten Schätzung errechnet und deutlich niedriger als im August (2,2 Prozent). Die Inflation lag damit erstmals seit Mitte 2021 unter der Zielmarke von zwei Prozent, die die EZB mittelfristig im Euroraum anstrebt. Vor allem billigere Energie drückte die Teuerungsrate und sorgte auch in Deutschland für einen deutlichen Rückgang der Inflation.
Zugleich macht die schwache Konjunktur in der Eurozone der EZB Sorgen. Sie erwartet nur ein Mini-Wachstum von 0,8 Prozent im laufenden Jahr - etwas weniger als im Sommer vorhergesagt. Dabei wirkt die schwache Wirtschaft in Deutschland als Bremsklotz. Erst in den Folgejahren soll sich die Konjunktur im Währungsraum erholen, so die Notenbank.
„Wir können die Wachstumsabschwächung nicht ignorieren“, sagte EZB-Direktorin Isabel Schnabel jüngst. Ein nachhaltiger Rückgang der Inflation zum Ziel werde „in angemessener Zeit wahrscheinlicher“. Selbst Bundesbank-Präsident Joachim Nagel, der sonst für einen vorsichtigen Kurs plädierte, zeigte sich zuletzt offen für Diskussionen über eine Zinssenkung.
Trotz der Fortschritte im Kampf gegen die Inflation sehen Ökonomen die EZB noch nicht am Ziel: Denn die Kerninflation ohne schwankungsanfällige Preise für Energie und Nahrungsmittel fiel im September nur leicht um 0,1 Prozentpunkte auf 2,7 Prozent. Commerzbank-Volkswirt Jörg Krämer warnt vor den Folgen weiter schnell steigender Löhne.
Die EZB erwartet, dass die Inflation zum Jahresende wieder anzieht und im Schnitt 2024 bei 2,5 Prozent liegt. Im nächsten Jahr soll das Inflationsziel erreicht werden, sagte Lagarde.
Die Notenbank hatte im Juni die Zinswende eingeleitet und erstmals seit der Inflationswelle die Leitzinsen gesenkt. Im September folgte der nächste Schritt. Zuvor hatte die EZB seit Juli 2022 zehnmal in Folge die Zinsen erhöht, um die im Zuge des Ukraine-Kriegs hochgeschossene Inflation in den Griff zu bekommen. Ihren Höchststand hatte die Inflation in der Eurozone im Oktober 2022 bei mehr als zehn Prozent erreicht.
Privathaushalte spüren die Zinssenkungen der EZB bereits - zum Beispiel Hausbauer. Die Zinsen für zehnjährige Immobilienkredite lagen zuletzt laut FMH-Finanzberatung bei durchschnittlich rund 3,3 Prozent, vor einem Jahr waren es gut 4,2 Prozent. Der Kreditvermittler Dr. Klein sieht mittelfristig aber kaum Abwärtspotenzial. Weitere Leitzinssenkungen seien schon eingepreist.
Für Sparer sind sinkende Leitzinsen schlecht. Seit der September-Zinssenkung haben mindestens 346 Banken und Sparkassen die Festgeldzinsen reduziert, analysiert das Vergleichsportal Verivox. Für zweijährige Festgelder gebe es bei überregionalen Banken im Schnitt noch 2,51 Prozent Zinsen - ein Tiefstand seit April 2023.
Die gute Nachricht: Die gesunkene Inflation hilft Sparern. Nach Abzug der Teuerung, die im September bei 1,6 Prozent in Deutschland lag, können Anleger mit Festgeld über zwei Jahre eine positive Rendite erzielen. In der Inflationswelle verloren Ersparnisse dagegen an Wert.
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