Nach ihrem Vormarsch im russischen Gebiet Kursk erhöht die Ukraine den Druck auf Moskau nun mit der Einrichtung einer Militärkommandantur. Die Kommandantur unter Leitung des ukrainischen Generalmajors Eduard Moskaljow solle sich um die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und die vorrangigen Bedürfnisse der Bevölkerung kümmern, sagte Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj während einer Sitzung mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Kommandantur solle ihren Sitz in Sudscha haben, das nach Syrskyjs Worten inzwischen „vom Feind gesäubert“ sei. Die Ukraine hatte betont, sich bei ihrer seit 6. August andauernden Bodenoffensive an internationales humanitäres Recht zu halten.
Nachdem Russland die Kontrolle über ein Teil des Gebietes Kursk verloren und dort Menschen zurückgelassen habe, müsse die Versorgung aufrechterhalten werden, teilte auch das ukrainische Außenministerium in Kiew mit. Die Verteidiger der Ukraine kümmerten sich um die Sicherheit der von Russland zurückgelassen Menschen, teilte das Ministerium in Kiew mit.
Der Oberkommandierende der Streitkräfte, Syrskyj, sagte weiter, das ukrainische Militär habe seit Beginn der Offensive 82 Orte und 1.150 Quadratkilometer Territorium unter seine Kontrolle gebracht. Demnach kamen die Kiewer Truppen erneut zwischen 500 Metern und 1,5 Kilometern voran, weniger als in den Tagen davor. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Es ist der erste Vorstoß dieser Art seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022.
Nach nicht überprüfbaren russischen Angaben sollen etwa 12.000 ukrainische Soldaten im Gebiet Kursk eingefallen sein. Sie sollen nach ukrainischen Angaben 35 Kilometer weiter auf russischem Gebiet vorgedrungen sein. Das kremlkritische unabhängige russische Nachrichtenportal „Meduza“ hielt wie zuvor auch andere Experten die ukrainischen Angaben für überzogen. Demnach kontrolliert Kiew 45 bis 50 Ortschaften auf einer Fläche zwischen 500 und 700 Quadratkilometern. Die Lage in dem umkämpften Gebiet gilt als sehr dynamisch mit sich immer wieder ändernden Kräfteverhältnissen.
Der militärische Chefkoordinator der deutschen Ukraine-Hilfe, Generalmajor Christian Freuding gab seinerseits im Bundeswehr-Videoformat „Nachgefragt“ eine Einschätzung ab. Freuding, der in den vergangenen Tagen zu Gesprächen in der Ukraine war, sagte: „Die Tiefe des genommenen Gebietes beträgt circa 30 Kilometer, die Breite circa 65 Kilometer.“ Er fügte hinzu: „Der Gesamtraum, in dem ukrainische Kräfte operieren - nicht kontrollieren, sondern operieren - schätzen wir auf circa 1.000 Quadratkilometer. Das ist deshalb interessant, weil das in etwa die Größenordnung ist, die die ukrainischen Streitkräfte verloren haben gegen die russischen Streitkräfte seit Jahresbeginn.“
„Die Stärke der ukrainischen Streitkräfte für diese Angriffsoperation sind vier Brigaden. Das sind 4.000 bis 6.000 Soldatinnen und Soldaten“, sagte er. Von ukrainischem Gebiet aus würden sie von 2.000 bis 4.000 Männern und Frauen durch Logistik, aber auch durch Luftverteidigung unterstützt.
Russlands Verteidigungsminister Andrej Beloussow rief in Moskau Vertreter des Generalstabs und andere Behördenvertreter zu einer Krisensitzung zusammen. Er kündigte dabei mehr Truppen und Mittel für die an der Grenze zur Ukraine gelegenen Regionen Kursk, Belgorod und Brjansk an. Der Generalstab habe einen Plan mit zusätzlichen Maßnahmen vorbereitet, sagte Beloussow. „Dabei geht es in erster Linie um die Verbesserung der Effizienz des Systems des Truppenmanagements in Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden“, sagte Beloussow bei der Sitzung zum Schutz der russischen Grenzregion.
Er werde die Umsetzung des Plans selbst kontrollieren, sagte er. Es gehe um den Schutz der territorialen Unversehrtheit Russlands, der Bevölkerung und der Infrastruktur in den Grenzregionen.
Demnach sollen nun etwa auch das Verteidigungsministerium, der Inlandsgeheimdienst FSB, die Nationalgarde und andere Sicherheitsbehörden ihre Arbeit besser koordinieren. Das Verteidigungsministerium meldete indes erneut die Zerstörung von ukrainischen Stellungen auf russischem Gebiet. Überprüfbar waren die Angaben von unabhängiger Seite nicht.
Das Eindringen der feindlichen Truppen mit Panzern und schwerer Artillerie hatte in Russlands Bevölkerung breite Verwunderung über den Zustand der Staatsgrenze ausgelöst. Der für die Grenzsicherung zuständige Inlandsgeheimdienst FSB meldet zwar fast täglich Festnahmen vermeintlicher und realer Saboteure, die für die Ukraine arbeiten sollen, und von Kriegsgegnern. Dem Grenzschutz entging dabei aber, dass sich im ukrainischen Gebiet Sumy vor dem Übertritt auf russisches Staatsgebiet ein ganzes Kontingent mit Kiewer Truppen für den Angriff formiert hatte.
Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte nun mit, die russische Armee im Gebiet Kursk habe die Kontrolle über das Dorf Krupez zurückerlangt und in einzelnen Kreisen ukrainische Angriffe erfolgreich abgewehrt. Auch russische Militärblogger, die das Ministerium zuvor wiederholt wegen unwahrer Angaben kritisiert hatten, bestätigten das. Im Gebiet Belgorod sei ein Versuch ukrainischer Soldaten, russisches Gebiet einzunehmen, zurückgeschlagen worden, hieß es.
In der Region Kursk ordneten die Behörden indes die Evakuierung eines weiteren Kreises an. In Sicherheit gebracht werden sollen die Menschen im Kreis Gluschkowski, wie der Gouverneur Alexej Smirnow mitteilte. In dem Kreis etwa zehn Kilometer von der ukrainischen Grenze waren vor Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine mehr als 17.500 Einwohner registriert. Smirnow meldete am Morgen auch erneut Luftalarm im Gebiet Kursk wegen drohender Raketenangriffe von ukrainischer Seite.
Smirnow traf sich auch im Atomkraftwerk (AKW) Kursk mit dem stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko. Der enge Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin verschaffte sich selbst einen Überblick von der Lage, nachdem die Sicherheitsvorkehrungen dort verstärkt worden waren. Nach einem Besuch auf der Baustelle für das AKW Kursk-2 sagte Smirnow, die Arbeiten für den neuen Reaktor liefen nach Plan. Im Dezember sollen sie abgeschlossen sein. Zuletzt hatte es Ängste vor Kämpfen um das AKW und einer möglichen nuklearen Gefahr gegeben.
Inzwischen sind laut Smirnow mehr als 120.000 Menschen in Sicherheit gebracht worden. Russland hat seine grenznahen Gebiete Kursk, Belgorod und Brjansk zu Zonen für Anti-Terror-Operationen erklärt, damit setzt auch der Militärapparat mehr Personal und Mittel ein. In der Region Belgorod stufte Moskau den Ausnahmezustand wie zuvor im Raum Kursk zu einem Notstand von nationaler Bedeutung hoch.
Die Ukraine will nach Angaben Selenskyjs mit der Offensive den Druck auf Kriegsgegner Russland erhöhen, die Kämpfe zu beenden und Friedensverhandlungen zu beginnen. Dagegen meldeten die russischen Truppen im ukrainischen Gebiet Donezk die Einnahme weiterer Ortschaften.
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