Polizeichef: Fast 1350 getötete Zivilisten im Kiewer Gebiet | FLZ.de

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Veröffentlicht am 17.07.2022 05:05

Polizeichef: Fast 1350 getötete Zivilisten im Kiewer Gebiet

In dem Kiewer Vorort Butscha wurden nach dem Abzug russischer Truppen zahlreiche getötete Zivilisten gefunden. (Foto: Emilio Morenatti/AP/dpa)
In dem Kiewer Vorort Butscha wurden nach dem Abzug russischer Truppen zahlreiche getötete Zivilisten gefunden. (Foto: Emilio Morenatti/AP/dpa)
In dem Kiewer Vorort Butscha wurden nach dem Abzug russischer Truppen zahlreiche getötete Zivilisten gefunden. (Foto: Emilio Morenatti/AP/dpa)

Seit Ende der russischen Besatzung im Kiewer Umland sind dort nach ukrainischen Angaben 1346 getötete Zivilisten gefunden worden. Diese Zahl nannte der Polizeichef des Gebiets, Andrij Njebytow, im ukrainischen Fernsehen. An allen Orten, an denen russische Truppen gewesen seien, finde die Polizei ermordete Zivilisten. Die Zahl sei nicht abschließend. Von etwa 300 Menschen fehle noch jede Spur.

Nach dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar waren russische Truppen bis dicht vor die Hauptstadt Kiew vorgestoßen. Als sie Ende März abziehen mussten, fanden sich in Orten wie Butscha und Irpin Hunderte Leichen getöteter ukrainischer Männer und Frauen.

Alles weist darauf hin, dass sie von russischen Soldaten ermordet wurden. Ukrainische Fahnder ermitteln mit internationaler Hilfe wegen Kriegsverbrechen. Moskau streitet die Massaker aber ab und nennt sie eine ukrainische Inszenierung. Etwa die Hälfte der tot gefundenen Menschen sei mit Handfeuerwaffen getötet worden, sagte der Verwaltungschef des Kiewer Gebiets, Oleksij Kuleba.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vom kanadischen Regierungschef Justin Trudeau eine strikte Einhaltung der Sanktionen gegen Russland verlangt. Das teilte Selenskyj auf Twitter mit. Er äußerte sich dabei nicht zum Hintergrund dieser Ermahnung an ein Land, das einer der stärksten Unterstützer der Ukraine ist. Die Ukraine hatte Kanada aber zuletzt wegen der Entscheidung kritisiert, auf deutsche Bitte die Lieferung einer gewarteten russischen Turbine für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 zu ermöglichen.

Wegen der infolge des Ukraine-Kriegs erlassenen Sanktionen hatte sich Kanada zunächst geweigert, die Turbine an Russland zurückzugeben - entschied sich dann aber doch dafür, das Aggregat stattdessen an Deutschland zu übergeben. Der russische Energiekonzern Gazprom hatte die Gaslieferungen durch nach Deutschland führende Pipeline Nord Stream 1 seit Juni deutlich gedrosselt und dies mit der fehlenden Turbine begründet.

Selenskyj sagte, dass die internationale Position zu Sanktionen prinzipienfest sein müsse. „Nach den Terrorangriffen auf Winnyzja, Mykolajiw, Tschassiw Jar und andere muss der Druck erhöht, nicht verringert werden“, schrieb er. Der Präsident bezog sich dabei auf russische Raketenangriffe in ukrainischen Städten weitab von der Front mit Dutzenden Toten.

Trudeau hatte zu dem Streit erklärt, angesichts drohender Energie-Engpässe habe sein Land Deutschland und andere europäische Verbündete unterstützen müssen.

In der Nacht zum 144. Kriegstag bekräftigt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, sein Land werde sich von Russland besetztes Gebiet zurückholen. Zugleich beklagte der 44-Jährige einen gezielten „Informationsterror“ von russischer Seite, gegen den sich seine Landsleute emotional wappnen müssten.

Die ukrainischen Luftstreitkräfte berichten derweil von feindlichen Raketen, die aus großer Entfernung aus der Region des Kaspischen Meeres heraus abgefeuert worden sein sollen. Kurz zuvor hatte das Verteidigungsministerium in Moskau bekannt gegeben, die Angriffe gegen das Nachbarland fast fünf Monate nach dem Einmarsch wieder ausweiten zu wollen. Die FDP-Politikerin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, fordert eine „Nationale Ukraine-Konferenz“.

„Es ist uns bereits gelungen, einen Teil des nach dem 24. Februar besetzten Territoriums zu befreien“, sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. „Nach und nach werden wir auch andere Regionen unseres Landes befreien, die zurzeit besetzt sind.“ Knapp fünf Monate nach Kriegsbeginn hatte die Ukraine zuletzt Gegenoffensiven im Süden gestartet. Bei der Rückeroberung besetzter Gebiete sollen auch westliche Waffen zum Einsatz kommen.

Selenskyj warf Russland darüber hinaus vor, im Krieg gegen sein Land gezielt Falschnachrichten als Waffe einzusetzen. Die Ukrainer bräuchten „eine Art emotionaler Souveränität“, um dieses „Informationsspiel“ nicht mitzuspielen, sagte er. Unwahrheiten etwa über angeblich vorbereitete Raketenangriffe verfolgten nur einen Zweck: „den Raketen- und Artillerie-Terror gegen unseren Staat durch Informationsterror zu ergänzen“.

Moskau nimmt nach Ansicht von britischen Geheimdienstexperten die Gefahr für seine Truppen in der Ukraine durch Gegenoffensiven der Verteidiger ernst. Russland verstärke seine defensiven Positionen im Süden der Ukraine, hieß es im täglichen Geheimdienst-Update des britischen Verteidigungsministeriums. „Das beinhaltet die Bewegung von Personal, Material und defensiver Vorräte zwischen Mariupol und Saporischschja sowie in Kherson.“ Die russischen Truppen verstärkten zudem auch ihre Sicherheitsmaßnahmen in der besetzten südukrainischen Stadt Melitopol, hieß es weiter.

Russland hat die Ukraine laut Angaben aus Kiew von der Region des Kaspischen Meeres aus mit Raketen beschossen. Vier von insgesamt sechs Raketen seien am Samstag über den Gebieten Dnipro im Osten und Saporischschja im Süden abgefangen worden, teilten die ukrainischen Luftstreitkräfte mit. Zwei weitere seien auf landwirtschaftlich genutztem Gebiet in der zentralukrainischen Region Tscherkassy eingeschlagen. Der Schaden werde noch untersucht.

An das Kaspische Meer grenzen neben Russland unter anderem auch die Südkaukasus-Republik Aserbaidschan und das zentralasiatische Kasachstan. Nach ukrainischer Darstellung sollen bei dem Beschuss Langstreckenbomber vom Typ Tupolew Tu-95 zum Einsatz gekommen sein. Aus Moskau gab es zunächst keine Bestätigung.

Die prorussische Verwaltung einer Region im Südosten der Ukraine führt nach eigenen Angaben in großem Umfang Getreide aus. „Mehr als 100 Waggons wurden bereits abgeschickt, ein weiterer Vertrag über 150.000 Tonnen wurde mit einem Getreidehändler abgeschlossen“, teilte der Chef der russischen Militärverwaltung von Saporischschja, Jewgeni Balizki, mit. Die Ukraine wirft Russland bereits seit Monaten Getreidediebstahl vor.

Balizki machte keine Angaben dazu, wohin das Getreide gebracht werden soll. Per Bahn kann es aber nur nach Russland oder auf die von Russland seit 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim transportiert werden. Russland hat nach Beginn des Einmarsches in die Ukraine schnell den südlichen Teil der Region Saporischschja mit dem dort befindlichen Hafen Berdjansk am Asowschen Meer erobert.

Ohne eine gemeinsame Abschlusserklärung ist am Samstag in Indonesien das Treffen der G20-Finanzminister zu Ende gegangen. Die Vertreter der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer hätten sich bei ihrem zweitägigen Treffen auf der Insel Bali nicht einigen können, ob eine Stellungnahme zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine darin einfließen solle, teilte die indonesische Finanzministerin Sri Mulyani Indrawati mit. Einig waren sich hingegen alle Teilnehmer, dass die weltweite Nahrungsmittelkrise angegangen werden müsse.

© dpa-infocom, dpa:220717-99-51234/7

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