Vier Tage nach der Amoktat bei den Zeugen Jehovas in Hamburg dauert die Diskussion um eine Verschärfung des Waffenrechts an. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) forderte, bei der Erteilung von Waffenerlaubnissen die Gesundheitsämter stärker einzubinden. „Wir wollen, dass künftig die Waffenbehörde nicht nur bei den Sicherheitsbehörden und der örtlichen Polizei abfragt, sondern auch bei den Gesundheitsbehörden“, sagte Faeser in Bremen. Dort beriet sie mit den SPD-Innenministern der Länder unter anderem über die Verschärfung des Waffenrechts.
Das Treffen stand ganz unter dem Eindruck des Amoklaufes. Die Tat habe unermessliches Leid ausgelöst, sagte Faeser. Am Donnerstagabend hatte der 35-jährige Philipp F. in Hamburg-Alsterdorf sieben Menschen erschossen, darunter ein ungeborenes Kind. Dann tötete er sich selbst. Neun Menschen wurden verletzt, berichtete Hamburgs Innensenator Andy Grote seinen SPD-Kollegen. Drei von ihnen schwebten immer noch in Lebensgefahr. Nur das schnelle Eingreifen der Polizei habe verhindert, dass der Täter in einem Gemeindesaal der Zeugen Jehovas noch mehr Menschen erschießt. „So konnten wir 17 Menschen retten“, sagte Grote.
Acht Teilnehmer eines Gottesdienstes hatten im Saal Schussverletzungen erlitten. Eine weitere Frau war als erste in ihrem Auto auf einem Parkplatz am Gebäude beschossen worden. Sie hatte leicht verletzt flüchten können. Die Hamburger Polizei wollte sich am Montag nicht zum Fortgang der Ermittlungen äußern und verwies stattdessen auf eine Landespressekonferenz am Dienstag. Grote und Polizeipräsident Ralf Martin Meyer würden über den aktuellen Ermittlungsstand berichten.
Nach Angaben des Sprechers der Zeugen Jehovas in Norddeutschland, Michael Tsifidaris, ist der Zustand der Schwerverletzten zwar stabil, aber immer noch kritisch. „Wir beten dafür, dass wir keine weiteren Todesopfer beklagen müssen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Die Anteilnahme und der Zuspruch für die Opfer und ihre Angehörigen sei überwältigend. An einer am Sonntag online veranstalteten Versammlung hätten Menschen aus aller Welt teilgenommen. „Wir hatten etwa 1400 virtuelle Gäste“, sagte Tsifidaris. „Viele hatten das Bedürfnis, ihr Beileid auszudrücken und einander Trost zu spenden.“ Auch eine bei dem Amoklauf verletzte Frau sei zugeschaltet gewesen.
Den Angaben zufolge gibt es in Hamburg knapp 4000 Zeugen Jehovas. Die betroffene Winterhuder Gemeinde sei mit 67 Mitgliedern eine eher kleine, sagte Tsifidaris.
Philipp F. war ein ehemaliges Mitglied der Hamburger Gemeinde, die er vor eineinhalb Jahren freiwillig, aber offenbar nicht im Guten verlassen hatte, wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenbehörde am Freitag sagten. Der 35-Jährige war Sportschütze, hatte eine Waffenbesitzkarte. Die Behörde hatte im Januar einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung von Philipp F. erhalten. Er wurde daher Anfang Februar von zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht. Damals habe es keine relevanten Beanstandungen gegeben, die rechtlichen Möglichkeiten seien ausgeschöpft gewesen, hatte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer erklärt.
Ob und in welcher Form es eine offizielle Trauerfeier für die Opfer geben wird, ist noch unklar. „Die Überlegungen für ein solches Gedenken sind noch nicht abgeschlossen“, teilte die Senatskanzlei mit. Es gehe darum, einen würdigen Weg der Trauer zu finden, der Opfer und Angehörige tröste und zugleich die Bevölkerung mitnehme, sagte Tsifidaris.
Faeser erklärte, die Gesundheitsämter hätten oft Erkenntnisse zu Personen, „weil sie psychisch auffällig geworden sind, in irgendwelche Straftaten verwickelt wurden, eingewiesen wurden in Unterbringung“. Auch sollten nicht nur Antragsteller bis 25 Jahre ein ärztliches oder psychologisches Gutachten vorlegen müssen, sondern künftig auch ältere. Die Bundesinnenministerin hatte im Januar einen Entwurf für ein schärferes Waffenrecht vorgelegt, den sie nach den Hamburger Ereignissen auf Lücken überprüfen will.
Auch Grote forderte in einem Interview des „Hamburger Abendblatts“, vor Erteilung einer Waffenerlaubnis sollten Antragsteller ein amtsärztliches oder psychologisches Zeugnis vorlegen müssen. Bei der Frage nach dem Motiv des Amoktäters ist für den Senator eine Tendenz erkennbar: „Im Moment deutet alles darauf hin, dass das Motiv in der Beziehung zwischen dieser Gemeinde der Zeugen Jehovas und dem Täter als ehemaligem Mitglied dieser Gemeinde begründet liegt“, sagte Grote der Zeitung.
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