Im Ukraine-Krieg gibt es auch nach einem neuen internationalen Vermittlungsversuch keinerlei Hoffnung auf ein baldiges Ende. Nach Gesprächen in Kiew setzte sich am Wochenende eine afrikanische Delegation unter Leitung von Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa auch bei Kremlchef Wladimir Putin für Verhandlungen zwischen beiden Seiten ein. Russlands Präsident ließ bei dem Treffen in St. Petersburg jedoch keine Bereitschaft zu Zugeständnissen erkennen. Zuvor hatte schon der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj Verhandlungen mit Moskau abgelehnt.
Der russische Angriffskrieg gegen das Nachbarland dauert inzwischen fast 16 Monate. Auch am Wochenende gab es wieder schwere Gefechte. Das britische Verteidigungsministerium sprach unter Berufung auf die eigenen Geheimdienste von hohen Verlusten auf beiden Seiten. In Peking berieten die Außenminister Chinas und der USA über die Lage. Im Westen hoffen manche Regierungen weiterhin, dass Peking auf Moskau positiv Einfluss nehmen könnte.
Unter Leitung Ramaphosas warben ein halbes Dutzend afrikanischer Staaten bei den beiden Kriegsparteien für eine Friedenslösung. Der südafrikanische Staatschef sagte am Samstag: „Wir sind davon überzeugt, dass für beide Seiten die Zeit gekommen ist, um Verhandlungen aufzunehmen und diesen Krieg zu beenden.“ Putin sprach der Nachrichtenagentur Tass zufolge von einem „ausbalancierten Ansatz der afrikanischen Freunde in der Ukraine-Krise“. Konkrete Fortschritte gab es aber nicht.
Der afrikanischen Delegation gehörten auch Vertreter aus Ägypten, Senegal, Sambia, der Republik Kongo, Uganda und den Komoren an. Ihre Friedensinitiative umfasst nach eigenen Angaben einen Zehn-Punkte-Plan. Viele afrikanische Staaten leiden unter dem Krieg, weil sie auf Getreide und Dünger aus Russland und der Ukraine angewiesen sind - was jetzt fehlt.
Im Westen zweifeln viele Experten, dass Moskau tatsächlich an einem Kriegsende interessiert ist. Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington beispielsweise sieht kein echtes Interesse. Moskau lasse keine Absicht erkennen, tatsächlich in einen Friedensprozess einzusteigen. Auch nach Vorstößen aus China und Brasilien hatte sich Russland grundsätzlich offen für Verhandlungen gezeigt - mehr aber nicht. Das ISW sprach von einer „falschen Bereitschaft“. Es gehe Moskau vielmehr darum, den Westen zu verunsichern und die militärische Unterstützung für die Ukraine zu schwächen.
Putin, der den Einmarsch ins Nachbarland am 24. Februar vergangenen Jahres angeordnet hatte, gab einmal mehr der Ukraine die Schuld daran, dass es keine Friedensverhandlungen gibt. Kiew macht immer wieder klar, dass für die Ukraine der Abzug der russischen Besatzer eine Bedingung für Gespräche ist. Russland aber beharrt auf der Anerkennung mehrerer völkerrechtswidrig annektierter ukrainischer Gebiete als russisch - nicht nur der Halbinsel Krim.
Das ukrainische Militär nahm nach Angaben der russischen Besatzungsmacht im Gebiet Saporischschja am Sonntag unter großen Verlusten das Dorf Pjatychatky ein. „Den ukrainischen Streitkräften ist es gelungen, es (das Dorf) unter seine Kontrolle zu nehmen“, teilte ein Vertreter der moskautreuen Verwaltung, Wladimir Rogow, mit. Die Angriffswelle des Gegners habe trotz „kolossaler Verluste“ ihr Ergebnis gebracht, räumte Rogow ein. Solche Eingeständnisse sind selten.
Rogow nutzte seine Mitteilung auch für den Hinweis, dass dabei Hunderte ukrainische Soldaten getötet worden seien. Eine Bestätigung von ukrainischer Seite gab es nicht. Der Ort werde nun von russischer Seite mit Artillerie beschossen, hieß es weiter. Die schweren Gefechte dauerten an. Die Angaben der Kriegsparteien zum Kampfgeschehen sind kaum von unabhängiger Seite zu überprüfen.
Die ukrainischen Streitkräfte berichteten über Kämpfe in mehreren Richtungen an der Front. In den sozialen Netzwerken wurden Aufnahmen verbreitet, auf denen große Explosionen und ein Brand zu sehen waren. Demnach traf die Luftwaffe nahe der Stadt Henitschek ein großes russisches Munitionsdepot im besetzten Teil des Gebiets Cherson.
Inmitten der laufenden Gegenoffensive bedankte sich Selenskyj bei westlichen Partnern für die Militärhilfe. „Deutschland: Danke (...) für die unveränderte Stärke beim Schutz von Leben vor dem russischen Raketenterror“, sagte er in einer Videobotschaft. Zuvor hatte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, in der „Berliner Zeitung“ mehr Unterstützung verlangt. Mit Blick auf den Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli in Litauens Hauptstadt Vilnius forderte Makeiev, der Ukraine solle ein klarer Weg zur Mitgliedschaft aufgezeigt werden.
US-Präsident Joe Biden betonte jedoch, die Ukraine könne auf ihrem Weg zu einer möglichen Mitgliedschaft auf keine Vorzugsbehandlung hoffen. Kiew müsse die gleichen Standards erfüllen wie andere Länder in dem transatlantischen Bündnis, sagte Biden in Philadelphia. „Ich werde es nicht einfacher machen“, sagte er.
Die „New York Times“ legte in einem Bericht nahe, dass Russland für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine vor eineinhalb Wochen verantwortlich ist. Die Beweise deuteten „eindeutig darauf hin, dass der Damm durch eine Explosion beschädigt wurde, die von der Seite ausgelöst wurde, die ihn kontrolliert: Russland“, heißt es in dem Bericht vom Sonntag.
Die bei weitem wahrscheinlichste Ursache für den Einsturz sei, dass in einem kleinen Durchgang im enormen Betonblock am Boden des Staudamms eine Sprengladung detonierte und den Damm zerstörte. Die Zeitung beruft sich auf Ingenieure und Sprengstoffexperten. Diesen zufolge könne aber nur eine vollständige Untersuchung des Damms ergeben, was zur Zerstörung führte.
Die Ukraine wirft Russland vor, den Staudamm absichtlich gesprengt zu haben. Auch viele internationale Experten halten das für wahrscheinlich. Moskau beschuldigt Kiew, den Damm beschossen zu haben. Die ukrainischen Behörden meldeten infolge der dem Dammbruch folgenden verheerenden Hochwasser inzwischen 16 Tote, die russischen Besatzer auf der anderen Seite des Flusses Dnipro 29. Dutzende Anwohner werden noch vermisst.
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