Auch wenn Corona im Alltag für viele Menschen kaum noch eine Rolle spielt, haben drei Jahre Pandemie nicht zuletzt bei jungen Menschen Narben hinterlassen.
Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren fühlen sich durch aktuelle Krisen psychisch deutlich stärker belastet als Menschen älterer Generationen. Das hat eine Umfrage einer Studie der Jugendforscher Simon Schnetzer, Klaus Hurrelmann sowie des Politikwissenschaftlers Kilian Hampel ergeben.
Ursache für die hohe Belastung sei ein durch die Folgen von Corona-Pandemie, Klimakrise, Krieg und Inflation entstandener Dauerkrisenmodus - etwa weil junge Menschen dadurch in finanzielle Nöte gerieten.
Für die halbjährlich durchgeführte Trendstudie „Jugend in Deutschland“ wurden zwischen Februar und März 1012 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 29 Jahren online befragt. Um mögliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Generationen herauszuarbeiten, wurden bei der Befragung erstmals auch mittlere Altersgruppen von 30 bis 49 Jahren (1015 Teilnehmer) und 50 bis 69 Jahren (1023 Teilnehmer) einbezogen.
Fast die Hälfte (46 Prozent) aller 14- bis 29-Jährigen leidet unter Stress, während das bei den 50- bis 69-Jährigen nur auf jeden Fünften (20 Prozent) zutrifft. Dabei seien die Stresswerte bei den Jungen in den letzten eineinhalb Jahren sogar gestiegen, sagte Hurrelmann bei der Vorstellung der Ergebnisse.
Auch fühlen sich mehr junge als alte Menschen erschöpft (35 Prozent im Vergleich zu 25 Prozent) und haben häufiger Selbstzweifel (33 Prozent im Vergleich zu 11 Prozent). Der Anteil an jungen Menschen, die unter Hilflosigkeit (14 Prozent) und Suizidgedanken (6 Prozent) leiden, ist seit der jüngsten Befragung im Herbst 2022 leicht gesunken, liegt aber immer noch über dem Vor-Corona-Niveau. Bei allen Fragen waren Mehrfachantworten möglich.
„Heute ist die Lebensplanung äußerst komplex“, sagte Hurrelmann. Nach dem Schulabschluss gebe es eine Fülle an Berufs- und Studienoptionen - junge Menschen müssten viele Entscheidungen auf einmal treffen. „Das verunsichert und führt auch zu dem hohen Niveau an Stress und Belastung“. Erschwerend kommt nach Angaben des Jugendforschers unter anderem auch hinzu, dass vielen Jungen bewusst ist, dass sie viel mehr für ihren Wohlstand tun müssten als die ältere Generation.
Schon heute ist jeder Fünfte (20 Prozent) zwischen 14 und 29 Jahren eigenen Angaben zufolge von Armut bedroht, wie die Studie zeigt. Die Auszubildende Nathalie Streblow weiß aus eigener Erfahrung, dass viele Azubis sich um ihren Lebensstandard sorgten. „Wir müssen teilweise anfangen, uns weniger gesund zu ernähren, weil nicht genug Geld da ist“, sagte die 18-Jährige, die zur Präsentation der Studie eingeladen war.
Auch die hohen persönlichen Erwartungen an ihre Zukunft führen laut den Studienautoren dazu, dass die psychische Belastung bei jungen Leuten deutlich höher ist als bei älteren. Die aktive Gestaltung ihres privaten und beruflichen Lebens stünde ihnen im Unterschied zu den älteren Generationen noch bevor.
Die 50- bis 69-Jährigen hingegen könnten auf eine wirtschaftlich erfolgreiche Lebensgestaltung zurückblicken und hätten gelernt, mit Anspannungen und Belastungen umzugehen. Zudem haben sie den Umfrageergebnissen zufolge zurückhaltendere Erwartungen an ihr weiteres Leben.
Auch wenn die Belastung im Generationenvergleich unterschiedlich hoch ist, haben Menschen aller Generationen ähnliche Sorgen. Die junge Generation sorgt sich mit einem Anteil von 63 Prozent am meisten um die Inflation, gefolgt vom Krieg in Europa (59 Prozent) und dem Klimawandel (52 Prozent).
Bei den 30- bis 49-Jährigen nehmen ebenfalls Inflation (64 Prozent) und Krieg (62 Prozent) die ersten beiden Plätze ein. Die größte Sorge der 50- bis 69-Jährigen ist derzeit der Krieg (72 Prozent), gefolgt von Altersarmut (65 Prozent). Auch hier waren Mehrfachantworten möglich. „Die Sorgen sind sehr ähnlich, belasten aber verschieden“, resümierte Jugendforscher Schnetzer.
Eine interessante Erkenntnis ziehen die Wissenschaftler aus der Abfrage der Werteorientierung. Zu den drei wichtigsten zählen bei allen Altersgruppen dieselben: Familie, Gesundheit und Freiheit. Auch bei der Frage, welche drei Eigenschaften den Teilnehmern im Kontakt mit anderen Menschen besonders wichtig sind, gibt es Einigkeit: An erster Stelle nennen alle Befragten Ehrlichkeit, gefolgt von Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft.
Die Übereinstimmung sei ein Zeichen dafür, dass es - entgegen gängiger Vorurteile - keinen Generationenkonflikt gebe, sagte Hurrelmann. „Die ganzen Vorurteile, die da im Raum stehen, sind einfach nicht berechtigt.“
Im Gegenteil: Es gebe heute eine sehr enge Beziehung zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern. „Man lebt in einer sehr toleranten Beziehung zueinander und hat auch einen engen Austausch.“ Für viele junge Menschen seien die Eltern Vorbilder.
© dpa-infocom, dpa:230516-99-710439/2