Manche sparen seit über dreißig Jahren an der Börse. Nun naht die Rente und es ist Zeit, das angesparte Geld auch auszugeben. Das bedeutet nicht, das Depot auf einen Schlag aufzulösen und das Vermögen auf ein Sparbuch zu verschieben. Stattdessen lässt sich mit einem Aktien-Auszahlplan das Geld häppchenweise entnehmen.
„Rentner können sich so im Alter selbst ein Zusatzeinkommen auszahlen“, erklärt Ralf Scherfling. Er ist Referent für Finanzen bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Dafür werden die Aktien oder Fondsanteile Stück für Stück verkauft.“
Der Vorteil: Rentner bleiben auf diese Weise an der Börse und ihr Geld hat gute Chancen, sich dort in den kommenden Jahren weiter zu vermehren. Das heißt, das Vermögen reicht entweder länger oder das monatliche Einkommen fällt höher aus, als wenn es nahezu unverzinst auf einem Girokonto liegt.
Ein Beispiel: Eine Summe von 100 000 Euro reicht ohne Zinsen für rund 16 Jahre, wenn jeden Monat 500 Euro ausgezahlt werden. Erwirtschaftet das Geld jährlich 3 Prozent Rendite, kommt man schon auf fast 23 Jahre.
Mit gut 6 Prozent - wie in der Vergangenheit mit weltweiten Investments durchaus möglich - wäre sogar eine sogenannte ewige Rente möglich. „Allerdings gibt es dafür keine Garantien“, sagt Scherfling. „Anleger müssen also mit dem Auf und Ab der Finanzmärkte leben und im Ernstfall auch mal den Gürtel enger schnallen. Andererseits sind sie flexibel, denn Auszahlpläne lassen sich jederzeit anpassen. Wer spontan mehr Geld braucht, kann sich auch mehr auszahlen.
Mehrere Stellschrauben bestimmen darüber, wie der individuelle Auszahlplan am Ende aussieht. Soll es jeden Monat eine bestimmte Summe sein oder darf sie schwanken? Wie lange soll das Vermögen reichen? Das sind Fragen, die sich zu Beginn jeder stellen muss.
Ruheständler, die auf die zusätzlichen Zahlungen angewiesen sind, sollten vorsichtshalber mit einer längeren Laufzeit von 25 bis 30 Jahren rechnen, damit am Lebensende nicht das Geld knapp wird.
„Auch bei den anderen Annahmen sollte man eher vorsichtig kalkulieren“, rät Max Geißler. Er ist Finanzexperte beim Verbraucherratgeber Biallo.de. „Wie hoch ich die Rendite einschätze, richtet sich auch danach, wie mein Portfolio aufgebaut ist. Mit sicheren Anleihen im Depot fällt die Langzeitrendite zum Beispiel etwas niedriger aus.“
Wichtig ist auch, ob das Kapital aufgezehrt werden darf oder Rentner ihren Erben etwas hinterlassen möchten. Internet-Tools wie zinsen-berechnen.de helfen bei der Einschätzung, was finanziell möglich ist.
Als Orientierungshilfe hat sich die Vier-Prozent-Regel etabliert: Wissenschaftler der Trinity-Universität in Texas haben herausgefunden, dass sich in der Vergangenheit Anleger 30 Jahre lang vier Prozent des Kapitals auszahlen konnten, ohne dass das anfangs eingezahlte Vermögen aufgebraucht wurde. Bei 100 000 Euro wären das rund 333 Euro pro Monat. Das Geld steckte zu 60 Prozent in Aktien, zu 40 Prozent in Anleihen.
Wer sich selbst möglichst wenig um seine Finanzen kümmern möchte, kann seine Bank damit betrauen, den Aktien-Auszahlplan umzusetzen. Allerdings bietet längst nicht jedes Geldhaus diesen Service an, weiß Geißler. Verbraucher werden eher bei Online-Brokern oder Direktbanken fündig als bei großen Filialbanken.
Bei der Auswahl sollte ein Augenmerk auf den Kosten für das Depot und den Verkauf von Wertpapieren liegen. „Wichtig ist auch zu schauen, ob die Bank Bruchstücke von Fonds verkauft“, sagt Geißler. „Das machen nur wenige und kann für Rentner ein Problem werden, die jeden Monat eine feste Auszahlung erwarten.“
Können nur ganze Anteile oder Aktien verkauft werden, schwankt die Summe. Kein Problem ist das für Anleger, die mit ETF gespart haben. Die werden regelmäßig auch in Bruchstücken gehandelt.
Kleinanleger können ihren Auszahlplan aber auch selbst umsetzen. „Es ist mit etwas Arbeit verbunden, schließlich muss der Rentner jeden Monat Anteile verkaufen“, sagt Geißler. „Und wer im Portfolio mehrere Wertpapiere hat, muss außerdem überlegen, welches gerade einen guten Kurs hat, damit der Verkauf einen möglichst großen Ertrag erzielt.“
Mit den Börsen im Blick können Anleger auf die aktuelle Entwicklung reagieren. Die einfachste Variante ist, den aktuellen Depotwert durch die Anzahl der Monate zu teilen, die das Geld noch reichen soll. Das Ergebnis ist der Betrag, den sich Rentner in diesem Monat auszahlen können. Dadurch reicht das Geld bis zum Ende der angepeilten Laufzeit, die Auszahlung kann in Krisenzeiten aber auch mal niedriger ausfallen.
Kein Problem ist das für Ruheständler, die mit dem Zusatzeinkommen nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, sondern sich davon Urlaube oder Extras leisten möchten. Wer dagegen auf regelmäßige und gleichbleibende Zahlungen angewiesen ist, sollte vorsichtiger agieren, rät Scherfling.
„Es ist dann sinnvoll, einen Teil des Geldes auf Tages- und Festgeldkonten anzulegen und sich davon regelmäßig einen festen Betrag zu nehmen“, sagt der Verbraucherschützer. „Damit lassen sich die Auszahlungen zum Beispiel für die nächsten zwei Jahre vor Kursstürzen sichern. Der Rest bleibt vorerst weiter an der Börse, um dort Rendite zu erwirtschaften.“
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