Linda Chan hat es gereicht: In der chinesischen Immobilienkrise hat die Hongkonger Richterin die Auflösung des hoch verschuldeten Konzerns China Evergrande angeordnet. Ein entsprechendes Urteil fällte Chan in der chinesischen Sonderverwaltungszone und folgte damit dem Antrag der Gläubiger.
China Evergrande landete wegen nicht bezahlter Kredite vor Gericht. Einen Vorschlag, die im Verfahren verhandelten Schulden des südchinesischen Konzerns im Wert von etwa 23 Milliarden US-Dollar (ungefähr 21,2 Mrd Euro) umzustrukturieren, lehnten die im Ausland sitzenden Gläubiger mehrmals ab.
Die Anhörung habe eineinhalb Jahre gedauert, und die Firma sei immer noch nicht fähig, einen konkreten Vorschlag für eine Restrukturierung vorzubringen, sagte Chan, wie die „South China Morning Post“ berichtete. „Ich denke, es ist Zeit für das Gericht zu sagen, genug ist genug“, sagte sie demnach.
Chan gab dem mit umgerechnet mehr als 300 Milliarden US-Dollar weltweit am höchsten verschuldeten Konzern mehrmals Aufschub, um eine Lösung zu finden. Evergrande kann gegen das Urteil in Berufung gehen. Bis zu einer Entscheidung würde der Abwicklungsprozess allerdings erst einmal eingeleitet werden.
An der Hongkonger Börse rauschte das Papier der Evergrande Group in die Tiefe. Der Handel mit der Aktie wurde gestoppt. Die Abwicklung Evergrandes könnte auf den Märkten, denen Peking jüngst versuchte, wieder auf die Beine zu helfen, Wellen schlagen und das Vertrauen in den chinesischen Immobilienmarkt weiter schwächen.
Nach Einschätzung des Ökonomen Markus Taube dürfte die Immobilienkrise für Peking beherrschbar bleiben und nicht zu einer internationalen Finanzkrise führen. „Ich sehe das ganz große Drama momentan noch nicht“, sagt der Professor des Instituts für Ostasienwirtschaft der Uni Duisburg/Essen. „Ein Großteil der Schulden ist sowieso bei inländischen Gläubigern und nicht im Ausland platziert.“ China sei keine freie Marktwirtschaft, sondern eine staatlich gesteuerte, und Spekulanten nicht in der Lage, „irgendwie gegen die Regierung zu wetten“. Direkt getroffen werden nach Taubes Einschätzung vor allem ausländische Investoren, die Evergrande-Anleihen gekauft haben.
Als nächstes beginnt die Suche nach einem Insolvenzverwalter. Dieser verkauft die Anlagen des Unternehmens, um damit die Schulden an die Gläubiger zu bezahlen. Dass die Gläubiger übrigens in Hongkong vor Gericht zogen, lag daran, dass Evergrande an der dortigen Börse gelistet ist.
Ob das Urteil jedoch in Festlandchina, wo viel Vermögen des Konzerns sitzt und ein anderes Rechtssystem herrscht, umgesetzt wird, ist unklar. Für einen Verwalter könnte es schwer werden, am offiziellen Firmensitz im südchinesischen Guangzhou personelle Entscheidungen zu treffen.
Für die Gläubiger könnten die Aussichten eher schlecht stehen, viel von ihrem Geld wieder zu bekommen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Verwalter einen neuen Plan erarbeitet, die Schulden bei den Auslandskreditgebern umzubauen. Allerdings müsste dafür feststehen, dass der Konzern noch genug Anlagen hat, oder es müsste ein „Weißer Ritter“ auftauchen, also ein Investor mit dem nötigen Geld.
Die Krise bei China Evergrande und im Immobiliensektor lastet schwer auf der chinesischen Wirtschaft. „In China Evergrade manifestiert sich die aktuelle Immobilienkrise in konzentrierter Form“, sagt Chefökonomin Wang Dan von der Hang Seng Bank China. Für die Volksrepublik war Bauen einer der wichtigsten Konjunkturtreiber.
Der Immobilienbereich macht der Expertin zufolge mehr als 20 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung aus. 2023 legte die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt nach offiziellen Zahlen um 5,2 Prozent zu. In diesem Jahr könnte das Wachstum laut der Weltbank allerdings deutlich niedriger ausfallen.
Zudem war die Branche ein wichtiger Anlaufpunkt für arbeitsuchende Uniabsolventen. Mit wenigen Voraussetzungen ließ sich hier laut Wang gutes Geld verdienen, etwa als Makler oder als Angestellter in einer großen Immobilienfirma. Da der kränkelnde Sektor seine Rolle als Arbeitsbeschaffer mittlerweile verloren hat, trägt er nun zur hohen Arbeitslosigkeit unter jungen Leuten bei. „Viele Studenten finden heute keine Jobs mehr und werden vielleicht Taxifahrer“, sagt Wang.
Außerdem droht laut Wang den mehr als 4000 chinesischen Banken Ungemach. Ihre nicht zurückgezahlten Schulden seien mehr oder weniger mit Immobilien oder Anleihen der Lokalregierungen verbunden. Wenn der Markt für Immobilien einbreche, erhöhe sich der Druck auf die Banken deutlich.
Doch damit ist nicht Schluss: Wenn viele Firmen sich von Banken Geld leihen, hinterlegen sie als Sicherheit meist Immobilien, wie Wang erklärt. Nun sei der Wert der Immobilien und damit der Sicherheiten gesunken, was bedeute, dass viele Firmen auch Liquiditätsprobleme hätten, sagt sie.
Im Fall von China Evergrande kam erschwerend hinzu, dass die chinesischen Behörden gegen den Konzern zu ermitteln begannen. Der Vorstandsvorsitzende und einst Asiens reichster Mann, Hui Ka Yan, steht wegen „illegaler Verbrechen“ im Fokus der Untersuchung. Ein Verbot untersagte dem Unternehmen zudem, Dollar-Anleihen auszugeben, was ein wichtiger Teil des Sanierungsplans war.
In den Boom-Jahren nach der Jahrtausendwende investierten viele Chinesen in Immobilien, weil sie mehr Stabilität als der Aktienmarkt versprachen. Die Bauträger steckten ihre sprudelnden Einnahmen direkt in neue Projekte. Menschen hatten schon Wohnungen gekauft, die noch gar nicht fertig waren - und nun vielleicht auch nicht mehr fertig werden.
Da die Wirtschaft seit der Corona-Pandemie schwächelt und die Menschen weniger Geld ausgeben, gingen auch die Einnahmen der Bauträger deutlich zurück. Dadurch konnten sie ihre Schulden nicht mehr begleichen. Die Regierung versuchte zuletzt, mit Lockerungen bei der Kreditvergabe Kaufanreize zu schaffen. Laut Berichten soll es auch eine Liste mit angeschlagenen Firmen geben, in die Banken investieren sollen, um ihnen aus der Misere zu helfen.
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