Er erklärt weder die Welt noch das Selbst, so wie Kant, Hegel, Marx oder Freud. Dafür hat Bernard-Henri Lévy zu viele Vorlieben: Mal ist er als Romanautor, Filmemacher und Essayist unterwegs, mal als Kriegsreporter, Geschäftsmann und inoffizieller Präsidentenberater. „BHL“, in Frankreich nur nach seinen Initialen genannt, ist der berühmteste und umstrittenste Philosoph des Landes. Oder wie „Le Figaro“ schreibt: „Frankreichs meistgehasster Dandy“.
Für Lévy, der am Sonntag (5. November) 75 Jahre alt wird, ist die Philosophie eine intellektuelle Basis, die er nutzt, um „auf allen Seiten gleichzeitig zu leben“. Geboren wurde der Intellektuelle in Béni Saf in Algerien. Er stammt aus einer wohlhabenden jüdischen Familie, die nach seiner Geburt nach Paris zog.
„BHL“ hat über 40 Bücher veröffentlicht, rund zehn Filme gedreht, vor allem Dokumentarfilme. Sein erstes Buch veröffentlichte er 1973. Darin schrieb er seine Beobachtungen als Kriegsreporter für die Zeitung „Combat“ nieder. Seitdem ist der Mitbegründer der „Nouvelle Philosophie“ - eine Strömung, die Mitte der 70er Jahre dem aufklärerischen Denken und besonders dem Marxismus den Kampf ansagte - immer dort, wo es auch Konflikte gibt.
Über den Krieg in Bosnien-Herzegowina schrieb er ein Buch und drehte „Bosna!“, ebenso über die Revolution in Libyen, zu der er „The Oath of Tobruk“ drehte. Sein jüngster Dokumentarfilm „Slava Ukraini“ handelt über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
„Ein Film über BHL, gespielt von BHL“, so lautete die Kritik des Wochenmagazins „Marianne“, das zynisch meinte, dass Lévy das Kriegsfilmgenre erneuere, indem er es in den Dienst der einzig wahren zeitgenössischen Werte stelle - Narzissmus und Onanie.
„Bernard-Henri Lévy oder der kriegerische Narzissmus“, „Narzisstischer Milliardär mit aufgeknöpftem Hemd“, „Wichtigtuer“, „Hochstapler“: Lévy ist ein Meister der Selbstinszenierung. In seinen Filmen taucht er in fast jeder dritten Szene auf. Sein immer gleiches Outfit: schwarzer Anzug, halb aufgeknöpftes, makellos weißes Hemd.
Als Lévy 2015 bei X, damals noch Twitter, Fotos postete, die ihn so an der Frontlinie zwischen kurdischen Peschmerga und Daesh-Kämpfern zeigen, fragten ihn einige Internetbenutzer, wie er es schaffe, mitten in der Wüste immer ein perfektes weißes Hemd zu tragen.
Lévy ist in der medialen Welt omnipräsent. Er sei sein eigenes Medium, brachte es der Journalist Christophe Barbier im Radiosender France Info auf den Punkt. Sein Wirkungskreis ist beachtlich: Er ist Gründer der Zeitschrift „La Règle du Jeu“, die sich mit Literatur, Philosophie, Politik und Kunst befasst, Präsident des Aufsichtsrates von Arte France, spielt in der Direktion des Verlagshauses Grasset mit, wo die meisten seiner Bücher erscheinen.
Laut des Wirtschaftsmagazins „Capital“ soll er an der Spitze eines Imperiums stehen, das auf 70 Millionen Euro geschätzt wird. Ein Teil stammt aus dem von seinem Vater gegründeten Holzhandelsunternehmen. Umtriebig ist er auch als Geschäftsmann. Er hat unter anderem in Firmen investiert, die Zucker, Mehl oder Reis nach Afrika exportieren, Tiefkühlkost herstellen und Privatjetservice anbieten. Zudem besitzt er Luxuswohnungen und -villen.
Innenpolitisch stellte er sich Ende 2006 im Präsidentschaftswahlkampf auf die Seite der sozialistischen Politikerin Ségolène Royal, deren enger Berater er wurde. Dies hinderte ihn nicht daran, den konservativen Sieger, Nicolas Sarkozy, zu überzeugen, die libysche Revolution gegen Saif al-Islam Gaddafi militärisch zu unterstützen.
Für den Ex-Botschafter und Schriftsteller Jean-Christophe Rufin war „BHL“ rund 20 Jahre der inoffizielle Außenminister Frankreichs. Er soll Jacques Chirac überredet haben, sich für den Kosovo zu engagieren und François Hollande für Syrien. In einem Interview mit dem Radiosender Europe 1 verlangte Rufin 2015 das Ende des „Bernard-Henri-Lévismus“.
Mit seinem Buch „Vom Krieg in der Philosophie“ wollte er 2010 zu seinem ursprünglichen Fachgebiet zurückkehren. Darin ging er vor allem scharf gegen den Aufklärer Kant vor, den er darin einen „wütenden Irren des Denkens“ nennt. In seiner Argumentation berief er sich auf einen Kant-Forscher namens Jean-Baptiste Botul, der sich jedoch als eine fiktive Persönlichkeit entpuppte.
Sein Missgeschick gestand Lévy öffentlich ein. In der Tageszeitung „Libération“ erklärte er, dass der erfundene Kant jedoch in vollem Einklang mit seiner Vorstellung des deutschen Denkers stünde.
Mehrfach schon wurde „BHL“ unsaubere Recherche vorgeworfen, unter anderem von dem Philosophen Gilles Deleuze und dem Historiker Pierre Vidal-Naquet. „Le Monde diplomatique“ hat vor Jahren ein Dossier über ihn angelegt. Der Titel: „L’imposture Bernard-Henri Lévy“ („Der Betrug Bernard-Henri Lévy“).
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