Zak Brown wollte von einer Teamorder-Kehrtwende lange nichts wissen. 23 Grand Prix und über 260 Tage dieser Formel-1-Saison betonte der Geschäftsführer von McLaren, keinen der beiden Fahrer durch eine Stallregie bevorzugen zu wollen, um damit die Titelchancen zu erhöhen. Vor dem Finale und einem drohenden Fahrertitel-Totalschaden gegen Max Verstappen sagte Brown aber auf einmal: „Wir werden pragmatisch sein. Wir werden keine Fahrer-WM wegschmeißen.“
Kurzum: Wenn es darauf ankommt, wird es die Ansage vom Kommandostand geben. „Ja, natürlich“, bestätigte Brown beim Sender Sky Sports UK.
Aber werden Lando Norris, der als WM-Führender in den Großen Preis von Abu Dhabi startet, und Oscar Piastri, der Dritte im Klassement, auch gehorchen? „Ich habe keine Zweifel, dass beide Fahrer im besten Interesse des Teams fahren werden. Sie haben schon gezeigt, dass sie großartige Teamplayer sind“, betonte Brown und versprach ein hartes, aber sauberes Rennen an diesem Sonntag (14.00 Uhr MEZ/Sky).
Ob und wann der Moment kommen könnte für den womöglich entscheidenden Funkspruch, bleibt abzuwarten. Sinngemäß laut Brown, wenn es bei einem so aussieht, dass er klare Chancen auf den Titel hat und der andere nicht mehr. Klar ist, er würde sich in die Teamorder-Historie einordnen. Unvergessen, weil in der Art auch eine Premiere: „Lass Michael vorbei für die Meisterschaft.“ Geschehen 2001 in Spielberg, gesagt vom damaligen Ferrari-Teamchef Jean Todt an Rubens Barrichello zum Wohle des WM-Titels für Michael Schumacher.
Norris kann es aber eigentlich auch - fast locker - ohne Unterstützung schaffen, die sicherlich einen Beigeschmack hinterlassen würde. Er muss nur aufs Podium kommen. Das schaffte er 17 Mal in diesem Jahr - aber eben sechsmal auch nicht. Wenn er es ein siebtes Mal nicht schafft, müssen die Rechenschieber raus: 12 Punkte mehr hat er vor dem Finale als Verstappen, 16 mehr als Piastri.
Im Training fuhr Norris in der ersten Einheit auf Platz eins, allerdings nur hauchdünn. Verstappen war acht Tausendstelsekunden langsamer, Piastri setzte aus. Seinen Wagen durfte der Mexikaner Patricio O'Ward fahren - das war lange so geplant.
Im zweiten Freien Training zur Qualifikations- und Rennzeit wurde es deutlicher: Norris distanzierte Verstappen um über dreieinhalb Zehntelsekunden, Piastri reihte sich nur auf Platz elf ein. Verstappen, dessen Titelära 2021 auf dem Yas Marina Circuit begonnen hatte, versuchte aber auch nur eine schnelle Runde, er und dem Team reichte das offensichtlich.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Norris Hilfe von Piastri im Kampf gegen Verstappen gebrauchen kann, ist ohnehin größer als umgekehrt, auch wenn Brown immer nur von beiden Fahrern sprach.
Vor wenigen Wochen hatte der 54 Jahre alte Amerikaner noch rückblickend auf das damaligen McLaren-Stallduell zwischen Lewis Hamilton und Fernando Alonso gesagt, das im Finale Kimi Räikkönen im Ferrari den WM-Titel bescherte: „Sollte das Gleiche passieren wie 2007, dann habe ich lieber diesen Ausgang als all die anderen Möglichkeiten, weil wir einen von beiden Fahrern favorisieren würden.“ Und Teamchef Andrea Stella hatte betont: „Es ist, als hätte man zwei Söhne. Wie soll man da einen bevorzugen?“
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