Diesen Tag wird Lewis Hamilton so nie wieder erleben. Aus der Box des Briten dröhnte die englische Fußball-Hymne „Sweet Caroline“ und seine gesamte Familie feierte mit. Selten war der mittlerweile 39 Jahre alte Superstar der Formel 1 derart angefasst, derart gerührt, derart emotional. „Ich kann nicht aufhören zu weinen“, sagte er.
In den Armen seiner Mercedes-Familie, in den Armen seiner Liebsten, in den Herzen seiner Fans: Der 104. Sieg seiner Karriere war für den siebenmaligen Weltmeister „einer der wichtigsten überhaupt. Ich hatte so tolle Momente in meiner Karriere, aber in den letzten zweieinhalb Jahren war ich nicht mal in der Nähe eines Sieges“. 945 Tage ohne einen Grand-Prix-Erfolg waren es genau.
„Es ist das Sommermärchen in der Formel 1“, schrieb die Schweizer Boulevardzeitung „Blick“. Huldigungen überall. „The King. Lewis kehrt als jubelnder König in seine Heimat zurück“, schrieb „La Repubblica“ aus Italien. „Hamilton wird mit einem donnernden Triumph in Silverstone wiedergeboren“, meinte Spaniens „El País“.
Zumal es ein weiterer Rekord in Hamiltons bereits langer Liste mit Superlativen ist: Neunmal siegte kein anderer Fahrer auf ein und demselben Kurs.
„Wer hätte das gedacht? Dass Lewis Hamilton wieder gewinnen würde, in einem Mercedes“, schrieb „AD“ aus den Niederlanden und damit der Heimat des diesmal Zweitplatzierten Max Verstappen. Das Formel-1-Duell war eine Art Vorspiel auf das EM-Halbfinale an diesem Mittwoch zwischen den Niederlanden und England.
Den Einzug der „Three Lions“ bei der Fußball-Europameisterschaft in die Runde der besten Vier hatte Hamilton mit den Fans auf dem Silverstone Circuit zusammen geschaut und beim Erfolg im Elfmeterschießen mit ihnen am Samstagabend gejubelt.
Nicht mal 24 Stunden später war er es, der im Home of British Motor Racing im bisher spektakulärsten und besten Rennen der Saison seine Landsleute in einen einzigen Freudentaumel versetzte, sich auf den Schultern tragen ließ - und sogar vom Lager des ärgsten Widersachers viel Lob und Anerkennung bekam.
„Hier hat man wieder seine Stärke und Größe gesehen“, sagte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko mit Blick vor allem auf Hamiltons Reifenmanagement bei den schweren und wechselnden Bedingungen: „Das zeigt, welche Routine und welchen Speed er immer noch hat.“
Der Lohn war der goldene Pokal, den er schon als kleiner Bub voller Bewunderung im TV angeschaut hatte. Der Lohn waren große Emotionen. „Die Siege sind eigentlich nicht die Geschichte. Es geht eigentlich mehr darum, dass er niemanden enttäuschen will“, sagte Hamiltons Vater Anthony.
„Das war echt ehrlich“, kommentierte Mercedes-Teamchef Toto Wolff den zweiten Sieg der Silberpfeile nacheinander - eine Woche vorher hatte Teamkollege George Russell von der Kollision Verstappens mit dem McLaren von Lando Norris im Kampf um Platz eins profitiert.
Doch klar ist, dass Mercedes nach den ganz schweren Jahren 2022 und 2023 in dieser Saison mit dem Wagen die Kurve bekommen hat. Je nach Bedingungen ist der W15 ein Sieg-Auto - und Hamilton bleibt einfach ein Sieg-Fahrer. „Man muss die Legenden respektieren und darf sie nie begraben“, erinnerte Frankreichs Sportzeitung „L'Equipe“.
Auch ein ehemaliger Rivale meldete sich. Sebastian Vettel gratulierte via Instagram Story. „Goat“, schrieb der viermalige Weltmeister zu einem Foto, das Hamilton mit dem Union Jack in Jubelpose jubelnd zeigte - G.O.A.T. ist die englische Abkürzung für „Größter aller Zeiten“.
Vettel fuhr einst dort, wo Hamilton ab kommendem Jahr am Steuer sitzt. Auch das macht diese Saison und vor allem diesen Sieg so besonders für Hamilton, der seit 2013 für Mercedes fährt. Brite bleibt er natürlich, auch wenn er wechselt. Aber Hamilton wird Rot tragen und das, was für die Briten Silverstone ist, sind für die Italiener Imola und Monza.
Hamilton will mit Ferrari das schaffen, was auch Vettel wollte, dem mittlerweile 37-Jährigen aber nach dessen vier Titeln mit Red Bull in sechs Jahren Ferrari nicht gelang: Weltmeister werden.
Und auch jetzt geht der Trend der Scuderia im Gegensatz zu Mercedes nach unten. Carlos Sainz wurde Fünfter in Silverstone, Charles Leclerc gar nur 14. Wann Hamilton als Ferrari-Fahrer einen Tag wie diesen erleben wird, muss sich zeigen.
© dpa-infocom, dpa:240708-930-166987/3