Krisen, Kriege, Konsumflaute: Die deutsche Wirtschaft steckt im Tief. Im vergangenen Jahr ist Europas größte Volkswirtschaft in die Rezession gerutscht. Nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamt schrumpfte die preisbereinigte Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent. Im Jahr zuvor hatte es nach jüngsten Berechnungen noch 1,8 Prozent Wachstum gegeben. Milliardenhilfen in der Energiekrise drückten den deutschen Staatshaushalt im vergangenen Jahr ins Minus. Der aktuelle Sparzwang infolge des Karlsruher Richterspruchs lässt für 2024 wenig Optimismus aufkommen, was staatliche Konjunkturmaßnahmen angeht. Doch Ökonomen sehen auch manches Hoffnungszeichen.
Im Jahr 2023 dümpelte die Konjunktur vor sich hin. Nach neuen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes gab es im ersten Quartal ein Miniwachstum von 0,1 Prozent. Im zweiten und dritten Vierteljahr stagnierte die Wirtschaft. Im Schlussquartal 2023 schrumpfte die Wirtschaftsleistung in Europas größter Volkswirtschaft einer ersten Schätzung der Wiesbadener Behörde zufolge preis-, saison- und kalenderbereinigt um 0,3 Prozent zum Vorquartal.
„Die deutsche Wirtschaft bewegt sich seit fast vier Jahren in einem nahezu andauernden Krisenmodus“, hielt jüngst das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) fest. Auf die Corona-Krise folgte im Februar 2022 der russische Angriff auf die Ukraine, der die Preise für Energie und Nahrungsmittel zeitweise extrem steigen ließ. Der Nahostkonflikt sorgt für neue Unsicherheit, zudem triff die jüngste Haushaltskrise Deutschland in einem Moment wirtschaftlicher Schwäche.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer kommentierte am Montag: „Bedenklich ist, dass die deutsche Wirtschaft seit dem Ausbruch von Corona in der Grundtendenz kaum gewachsen ist. Das ist selten und weckt Erinnerungen an die Jahre nach dem Platzen der Aktienmarktblase Anfang des Jahrtausends.“
Bei den Preisen dürfen Verbraucherinnen und Verbraucher Entspannung erwarten. Volkswirte rechnen damit, dass der Preisdruck im laufenden Jahr nachlassen wird, wenn auch nicht so rasch wie erhofft. Denn die Anhebung des CO2-Preises von 30 Euro je Tonne Kohlendioxid (CO2) auf 45 Euro zu Jahresbeginn sowie die Rückkehr zur höheren Mehrwertsteuer in der Gastronomie dürften die Preise anheizen.
Die beiden vergangenen Jahre waren mit 6,9 Prozent (2022) und voraussichtlich 5,9 Prozent (2023) Inflation im Jahresschnitt die beiden zweitteuersten Jahre seit der Wiedervereinigung. Ökonomen gehen davon aus, dass sich der private Konsum mit sinkender Inflationsrate und steigenden Löhnen allmählich erholen wird. Dass zuletzt die Bauzinsen wieder gesunken sind, könnte zudem die Bauwirtschaft ankurbeln.
Industrie und Bauwirtschaft haben seit Monaten mit schwacher Nachfrage zu kämpfen, Auftragspolster puffern dies immer weniger ab. Die Industrieproduktion ging im November den sechsten Monat in Folge zurück. Die Produktion liege fast vier Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie um mehr als neun Prozent unter dem Niveau davor, rechnete ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski vor. Mit Blick auf die nähere Zukunft sehe er nur wenig Anlass zu Optimismus: „Die Auftragsdeflation der letzten beiden Jahre hinterlässt deutliche Spuren, ebenso wie die anhaltende energiepolitische Unsicherheit.“
Nach Einschätzung von Ifo-Präsident Clemens Fuest sind Deutschlands wirtschaftliche Aussichten für 2024 „eher bescheiden“: „Das Wirtschaftswachstum wird nach unserer Einschätzung irgendwo zwischen null und einem Prozent landen. Es kann, wenn es schlecht läuft, aber auch ins Negative rutschen.“ Hohe Energiekosten und wachsender Arbeitskräftemangel seien mittelfristig große Herausforderungen.
Die Schwäche der Weltkonjunktur belastet die Exportnation Deutschland. Die Ausfuhrbilanz für die ersten elf Monate 2023 fiel negativ aus. Der Wert der Warenexporte sank um 1,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. „Die Sicherheitslage im Nahen Osten sowie die Übergriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer werden sich in den kommenden Monaten weiter negativ auswirken und sich in der Folge in den Handelswerten niederschlagen“, erwartet Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA).
Das Karlsruher Urteil vom 15. November zwingt die Ampel-Koalition zum Sparen. Unsicherheiten und Widerstände sind groß - siehe die jüngsten Bauernproteste. Der Staat werde „zur Konjunkturbremse“, schreibt das HWWI mit Blick auf 2024: „Die verringerten Fördermöglichkeiten durch den Staat, insbesondere die nun fehlenden Mittel im Klima- und Transformationsfonds, dürften sich in den davon betroffenen Bereichen auch dämpfend auf die Investitionsneigung der Unternehmen auswirken und Standortüberlegungen verstärken.“
Im Gesamtjahr 2023 gab der Fiskus nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes gut 82,7 Milliarden Euro mehr aus als er einnahm. Das waren immerhin etwa 14 Milliarden Euro weniger als ein Jahr zuvor. Vor allem der Bund konnte sein Defizit erheblich verringern, weil Ausgaben zur Corona-Bekämpfung wegfielen. Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung lag das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung im vergangenen Jahr bei 2,0 Prozent.
Im Gesamtjahr 2022 hatte Deutschland nach zwei Ausreißern in den Corona-Jahren 2020 (4,3 Prozent Defizit) und 2021 (3,6 Prozent Defizit) wieder die europäische Verschuldungsregel eingehalten: Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung betrug das Defizit 2022 nach jüngster Berechnung 2,5 Prozent. Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt erlaubt den EU-Staaten ein Haushaltsdefizit von höchstens drei Prozent und eine Gesamtverschuldung von höchstens 60 Prozent des nominalen BIP.
Nach Einschätzung der Bundesbank profitieren die Staatsfinanzen davon, dass temporäre Stützungsmaßnahmen allmählich enden. Dies falle mehr ins Gewicht als steigende Aufwendungen etwa für Verteidigung und Renten. Daher sei für 2024 mit einer nochmals geringeren Defizitquote von 1,3 Prozent zu rechnen.
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