Die Ungewissheit um die weitere WM-Teilnahme von NHL-Ausnahmestürmer Tim Stützle macht die Berliner Eishockey-Meister noch wertvoller.
In wenigen Tagen schalteten sie von der Party-Stimmung mit ausgelassenen Bier- und Barfuß-Feierlichkeiten in den WM-Modus und setzen ihre erfolgreichen Auftritte fort. Als Hoffnungsträger Stützle in Helsinki vor Schmerzen gekrümmt vom Eis gefahren war, glänzten die Berliner Leo Pföderl als Torschütze und Marcel Noebels als Vorbereiter beim wichtigen 3:2 gegen Frankreich zum zweiten Mal in Finnland als WM-Sieggaranten. „Die Berliner, das ist ja Wahnsinn“, schwärmte Bundestrainer Toni Söderholm.
In der Sorge um NHL-Profi Stützle (20) gab es am Dienstag leichte Entwarnung. „Es sieht ganz gut aus“, teilte der Sportdirektor des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), Christian Künast, der Deutschen Presse-Agentur mit. Ein Einsatz im Turnierverlauf sei „noch wahrscheinlich“, sagte er: „Wir schauen von Tag zu Tag.“ Ob der 20-Jährige in den womöglich entscheidenden Partien fürs Viertelfinale am Donnerstag gegen Dänemark und am Freitag gegen Italien (jeweils 15.20 Uhr/Sport1 und MagentaSport) fehlen wird, blieb allerdings ungewiss.
Bereits im ersten Drittel hatte sich der Ottawa-Stürmer Stützle gegen die Franzosen bei einem Check gegen sein Knie verletzt und nicht mehr weitergespielt. Nach Informationen der „Bild“ soll es sich nicht um einen Bänderriss im Knie handeln.
„Timmy ist einer unserer besten Spieler. Das wäre natürlich bitter“, sagte Kapitän Moritz Müller über einen möglichen Ausfall. Die Verantwortung, die er übernehme, sei „unglaublich“. Wie NHL-Verteidiger Moritz Seider (21) trage er das Spiel „zum großen Teil“ auf seinen Schultern. Als Führungskraft hat Söderholm den Youngster vorgesehen und muss sich nun womöglich noch mehr auf die Berliner verlassen. Es wäre der nächste Verlust eines Anführers und von Tempo und Kreativität.
Erst am Tag vor der Abreise hatte das deutsche Nationalteam verkraften müssen, dass der Olympia-Zweite von 2018 und ehemalige NHL-Stürmer Dominik Kahun verletzt nicht mitreisen kann. NHL-Superstar Leon Draisaitl fehlt bei der angestrebten Wiedergutmachung für die verpatzte Olympia-Teilnahme ohnehin.
Umso wichtiger sind die Berliner. In den vergangenen Jahren galt es manchmal als schwierig, die Profis des Titelträgers der Deutschen Eishockey Liga ins Nationalteam einzubinden. Schnell müssen sie umschalten vom Spannungsabfall und Meisterjubel hin zum WM-Druck. Söderholm aber plante wie beim überraschenden Erreichen der Top Vier bei der Weltmeisterschaft 2021 ganz bewusst mit den Meister-Eisbären. Auch in Riga waren die Berliner ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Fünf nahm er diesmal mit: Pföderl, von dem Videos kursieren, die ihn bei der Meisterfeier wenige Tage vor dem WM-Start barfuß und mit Bierflasche in der Öffentlichkeit zeigen. Jetzt ist Pföderl, einer der „klügsten deutschen Spieler“ (Söderholm), mit zwei Toren und drei Vorlagen bester deutscher WM-Scorer. Hinzu kommen der erfahrene Noebels, die Verteidiger Jonas Müller und Kai Wissmann sowie Torhüter Mathias Niederberger. „Wenn ein Spieler sein Bestes leistet und in diesem Playoff-Flow drin ist, ist die Warscheinlichkeit, dass er auch bei der WM gut spielt, ziemlich hoch“, hatte Söderholm begründet.
Es funktioniert. Niederberger hielt dem Druck der Franzosen in der Schlussphase auch mit dem Wissen stand, dass er sein Niveau im schwarz-rot-goldenen Trikot immer noch mal steigern kann. Der Torwart lässt sich auch dadurch nicht aus der Ruhe bringen, dass er anders als bei der WM 2021 diesmal nicht die Nummer eins ist, sondern Vertreter von NHL-Goalie Philipp Grubauer. Auch WM-Debütant Wissmann trägt auf Anhieb Verantwortung, auch in Unterzahl.
Noebels und Pföderl, die mit AHL-Stürmer Marc Michaelis eine Reihe bilden, kennen sich in- und auswendig. Bereits beim 2:1 gegen die Slowakei führte eine Kombination der beiden zum Tor. „Man kann mit breiter Brust auftreten, man vermittelt das schon. So ein Turnier ist wie eine zweite Meisterschaft“, erklärte Noebels den Titel-Schub.
Womöglich wird die Berliner Meister-Reihe von der WM 2021 nun komplett: Lukas Reichel, der sich in Riga für Nordamerika empfahl, könnte nach seinem Saison-Aus in der zweitklassigen AHL, in Finnland eintrudeln - ebenso wie Verteidiger Leon Gawanke. „Beides sind Ausnahmespieler im deutschen Eishockey“, sagte Moritz Müller. Ihr Kommen war zunächst unklar wie die Diagnose zu Stützle.
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