Es ist der vorläufige Höhepunkt der Bauernproteste. Heute werden Tausende Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit vielen Traktoren zu einer Großdemonstration in Berlin erwartet. Unter Landwirten gibt es mächtig Ärger, weil die Bundesregierung Diesel-Vergünstigungen schrittweise streichen will.
Die Ampel-Koalition will bisher beim Agrardiesel hart bleiben - macht aber deutlich, sie wolle die Bauern beim Strukturwandel stärker unterstützen, zum Beispiel beim Umbau der Tierhaltung.
Mit Trecker-Korsos machten Landwirte in den vergangenen Tagen quer durch die Republik Front gegen schon abgeschwächte Einsparpläne der Bundesregierung für den Haushalt 2024. Konkret soll die seit mehr als 70 Jahren bestehende Agrardiesel-Begünstigung wegfallen. Noch können sich Betriebe die Energiesteuer teilweise zurückerstatten lassen - mit einer Vergütung von 21,48 Cent pro Liter. Ursprünglich sollte die Hilfe sofort ganz wegfallen. Nun soll sie über drei Jahre auslaufen. Eine zunächst geplante Streichung auch der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge hat die Regierung ganz fallen gelassen.
Der Bauernverband hält die Korrekturen für unzureichend und fordert eine komplette Rücknahme der Mehrbelastungen. „Ein fauler Kompromiss, wie er derzeit auf dem Tisch liegt, kann keine Lösung sein - denn der wird keinen Traktor von der Straße holen“, hatte Bauernpräsident Joachim Rukwied deutlich gemacht. Der Verband setze darauf, dass die Fraktionsvorsitzenden der Ampel bei einem Gespräch mit Bauernverbänden eine Lösung zum Agrardiesel vorlegen. Rukwied sagte: „Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Beim Gespräch am Montag kann es zunächst nur um den Agrardiesel gehen.“
Kanzler Olaf Scholz (SPD) und mehrere andere Ampel-Politiker haben angesichts des Proteststurms schon Verständnis und Dialogbereitschaft signalisiert. Konkrete weitere Zugeständnisse beim Agrardiesel waren vorerst aber nicht in Sicht. Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) dringt darauf, der Branche gerade jetzt neue Chancen und Planungssicherheit zu eröffnen - etwa mit einer dauerhaft gesicherten Finanzierung für den Umbau der Tierhaltung hin zu besseren Bedingungen über eine Tierwohlabgabe.
Die FDP signalisierte nun Bereitschaft für eine Tierwohlabgabe, die auch auf Verbraucher umgelegt werden könnte. Die stellvertretende FDP-Fraktionschefin Carina Konrad sagte der „Süddeutschen Zeitung“, eine Tierwohlabgabe könnte ein Weg sein, die Landwirte beim Umbau ihrer Ställe verlässlich zu unterstützen.
Bei der Demo redet auch Finanzminister Christian Lindner (FDP). Er dämpfte vorab Erwartungen, dass auf die Subventionsstreichungen komplett verzichtet werde. Lindner sagte am Sonntag, er werde bei der Kundgebung „nicht versprechen können, dass alle Bereiche der Gesellschaft Konsolidierungsbeiträge leisten müssen - nur einer nicht“. Die Bundesregierung muss wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts Milliardenlöcher im Bundeshaushalt stopfen.
Ins Zentrum rücken könnte eine Tierwohlabgabe. Lindner hatte weniger Regulierung und Bürokratie ins Spiel gebracht. Der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil sagte am Sonntag in der ARD, in den Mittelpunkt müsse die Frage gestellt werden, wie es gelingen könne, dass es in Deutschland eine starke Landwirtschaft gebe. „Ich finde, das muss dann auch mehr sein als die Frage Agrar-Diesel. Da geht es um die Marktmacht der Discounter. Da geht es beispielsweise auch um die Frage, wie wahnsinnig viel Bürokratie da im Bereich der Landwirtschaft vorhanden ist, wie die abgebaut werden kann.“
Was das aber konkret bedeuten könnte, ist unklar. Bei Bauernvertretern hieß es, die Hiobsbotschaft aus Berlin zum Agrardiesel habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Denn auf vielen Höfen, die sich nach schwierigen Zeiten zuletzt stabilisieren konnten, hat sich seit Jahren einiger Frust aufgestaut. Schon Ende 2019 richteten sich breite Traktoren-Proteste gegen neue Umweltvorgaben und Düngeregeln - bei gleichzeitig vielen Billigpreisen im Supermarkt. Bauern forderten mehr Mitsprache und Wertschätzung für ihre Arbeit. Der Marktdruck der großen Supermarktketten ist generell hoch, auch wenn Bauern zuletzt von höheren Preisen profitieren konnten. Dazu kommen Anforderungen von Politik und Verbrauchern, nachhaltiger zu produzieren.
Auch um Risiken abzufedern, gehören europäische und nationale Subventionen zur Kalkulation der Betriebe. Zuschüsse und Zahlungen haben im Schnitt einen Anteil von 45 Prozent am Einkommen, wie es im Agrarpolitischen Bericht 2023 der Bundesregierung nach Daten für 2021/22 heißt - bei den großen Betrieben in den ostdeutschen Ländern fast 50 Prozent. Der Großteil davon entfällt auf Direktzahlungen aus der EU-Agrarfinanzierung, die auch an Umweltauflagen gekoppelt sind. Dabei sollen die Milliarden aus Brüssel die Nahrungsversorgung und den Erhalt der Landschaften und ländlichen Räume insgesamt sichern.
Die Pläne sind nun im parlamentarischen Verfahren. Dabei geht es um ein Gesetz, das Kürzungen im Etat 2024 umsetzen soll. Ende Januar soll der Bundestag über den Haushalt und auch über das Gesetz zum Agrardiesel abstimmen. Änderungen sind also prinzipiell noch möglich. Der Bundesrat könnte sich am 2. Februar damit befassen. Dabei ist das Haushaltsfinanzierungsgesetz nicht zustimmungsbedürftig, die Länder könnten es aber in den gemeinsamen Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag schicken. Mehrere Ministerpräsidenten auch der SPD hatten den Bund aufgefordert, die Agrardiesel-Regelung nicht zu streichen.
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