Hubschrauber kreisen über dem Trump-Tower in Manhattan, auf der Straße sind Barrikaden errichtet, Dutzende Pressevertreter und vereinzelte Demonstranten warten gebannt: New York rüstet sich vor der Verlesung der Anklage gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump für einen historischen Tag. Der Republikaner kam gestern unter medialer Dauerbeobachtung in der Metropole an der Ostküste an.
Dort soll Trump nach der beispiellosen Anklage gegen ihn heute vor Gericht erscheinen. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass sich ein Ex-Präsident in einem Strafverfahren verantworten muss. New York hat die Sicherheitsvorkehrung wegen befürchteter Ausschreitungen hochgefahren.
Trump lebt eigentlich in seinem Luxusanwesen Mar-a-Lago im US-Bundesstaat Florida. Für den Gerichtstermin in New York musste er rund zweieinhalb Stunden gen Norden fliegen. Die US-Medien inszenierten bereits die Anreise als Spektakel - Fernsehsender übertrugen jede Reiseetappe des 76-Jährigen live. In einem Konvoi aus schwarzen Fahrzeugen fuhr Trump zunächst zum Flughafen in Palm Beach, stieg dort in seine Boeing 757, auf der in großen Buchstaben der Name Trump prangt. Auf dem Flugportal Flight-Radar war der Flug nach New York City zeitweise der meistbeobachtete Flug der Welt.
Ähnlich gestaltete sich die Ankunft in New York. Hubschrauber begleiteten den Konvoi auf seiner Fahrt vom Flughafen LaGuardia im Stadtbezirk Queens auf dem Weg zum Trump-Tower in Manhattan an der berühmten Fifth Avenue. Vor dem Wolkenkratzer wurden die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal deutlich hochgefahren, Polizeibusse standen bereit. Einige Trump-Fans lieferten sich Wortgefechte mit Gegnern. Bevor Trump das Hochhaus betrat, winkte er Schaulustigen auf der Straße kurz zu - danach eilte der sonst wenig medienscheue Ex-Präsident aber ohne Kommentar weiter. Seiner Wut über die Anklage ließ er stattdessen über seinen Twitter-Ersatz Truth Social freien Lauf.
Die Bezirksstaatsanwaltschaft in Manhattan hatte am Donnerstag vergangener Woche die Anklage gegen den Trump publik gemacht. Zu der Anklageverlesung in Manhattan muss der Beschuldigte persönlich erscheinen. Rund 30 Anklagepunkte sollen gegen ihn vorgebracht werden - keiner ist bisher offiziell bekannt. Der Fall ist kompliziert. Kurz vor seiner Wahl zum Präsidenten 2016 ließ Trump Schweigegeld an die Pornodarstellerin und -regisseurin Stormy Daniels zahlen. Sie hatte behauptet, sie habe Sex mit ihm gehabt. Trump bestreitet eine Affäre, nicht aber, dass Geld geflossen ist.
Die Zahlung an sich ist nicht illegal. Trump wird Medien zufolge aber wohl vorgeworfen, diese falsch abgerechnet und Geschäftsunterlagen gefälscht zu haben. Damit könnte er gegen Gesetze zur Wahlkampffinanzierung verstoßen haben. Laut US-Medien werden Trump 34 Straftaten zur Last gelegt, jede davon wäre mit einer Gefängnisstrafe zu ahnden. Trump machte auf Truth Social seinem Unmut über die Berichte Luft. Medien zufolge traf sich Trump gestern Abend (Ortszeit) mit seinem Anwaltsteam im Trump-Tower. „Er ist in guter Stimmung“, sagte eine seiner Juristinnen im US-Fernsehen. Trump sei bereit dazu, im Gericht zu erscheinen.
Für diesen Termin dürfte der einst mächtigste Mann im Staate kurzzeitig in Gewahrsam genommen werden, damit Fingerabdrücke und Polizeifotos von ihm gemacht werden können. Ob diese Fotos aber wirklich gemacht werden, ist offen. Das alles wird hinter verschlossenen Türen passieren. Bei der Anklageverlesung dürfte Trump aller Voraussicht nach auf „nicht schuldig“ plädieren. Eine Videoübertragung aus dem Gericht lehnte der zuständige Richter ab.
Trump weist alle Vorwürfe als politisch motivierte „Hexenjagd“ zurück, mit der sein Sieg bei der Präsidentenwahl 2024 verhindert werden solle. Nach der Anklageverlesung wird er erst das Gericht und dann wohl auch New York wieder verlassen. Zurück in Mar-a-Lago will Trump sich noch am Abend (Ortszeit) vor der Presse äußern.
Im Stadtzentrum von New York herrschte wegen des historischen Ereignisses auf manchen Straßenzügen regelrechter Ausnahmezustand. Schon am Abend vor der Anklageverlesung standen Menschen in Schlangen vor dem Gericht im Süden Manhattans an, um in den Saal zu kommen. Rund um das Gebäude wurden Absperrungen errichtet, Medienvertreter aus aller Welt bauten ihre Kameras auf. Die radikale republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, eine der bekanntesten und wortgewaltigsten Verschwörungstheoretikerinnen im US-Parlament, will während des Gerichtstermins draußen vor der Tür protestieren.
Die Erstürmung des Kapitols in Washington am 6. Januar 2021 lässt manchen New Yorker befürchten, in der liberalen Ostküstenmetropole könnte es ebenfalls zu Chaos und Randale kommen. Bürgermeister Eric Adams warnte Demonstranten vorsorglich davor, gewalttätig zu werden. New York sei kein „Spielplatz für unangebrachte Wut“. US-Präsident Joe Biden gab sich hingegen demonstrativ entspannt. „Ich habe Vertrauen in die New Yorker Polizei“, entgegnete er auf die Frage, ob er sich Sorgen mache.
Trump hatte bereits vor gut zwei Wochen zu Protesten aufgerufen. Das weckte Erinnerungen an die tödliche Kapitol-Attacke, bei der seine Anhänger den US-Kongress gestürmt hatten, um die Ablösung Trumps durch den gewählten Präsidenten Biden zu verhindern. Der Demokrat Biden hatte die Wahl 2020 gewonnen, doch Trump weigert sich bis heute, seine Niederlage anzuerkennen. Vor einigen Monaten erklärte er seine Absicht, 2024 erneut für die Republikaner kandidieren und ein zweites Mal ins Weiße Haus einziehen zu wollen. In parteiinternen Umfragen liegt er auch tatsächlich vorn. Neben der rechten Wortführerin Greene versammelten sich nach der Anklage weitere Parteigrößen hinter Trump und teilten seine These von der Verfolgung durch eine politische gesteuerte Justiz.
Viele Amerikanerinnen und Amerikaner sehen die Lage etwas anders als die Republikaner, wie aus einer aktuellen Umfrage des Instituts SSRS für den Sender CNN hervorgeht. Demnach unterstützen 60 Prozent der Befragten die Anklage gegen Trump. Allerdings sagen auch mehr als drei Viertel der Befragten, dass politische Beweggründe bei der Anklage wohl eine Rolle gespielt hätten.
Oberstaatsanwälte wie Trump-Ankläger Alvin Bragg werden in den USA ins Amt gewählt. Bragg ist Anhänger der Demokraten, was ihn aus Sicht vieler Republikaner befangen und damit angreifbar macht. Bragg will sich nach der Anklageverlesung bei einer Pressekonferenz äußern.
Der New Yorker Fall ist für Trump zwar mehr als lästig und könnte für ihn eines Tages, wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind, in einer Gefängniszelle enden. Eine Anklage oder Verurteilung disqualifiziert ihn aber - zumindest juristisch - nicht von einer Kandidatur für das Präsidentschaftsamt.
Allerdings hat Trump noch etliche andere juristische Baustellen. Dazu zählen etwa die Untersuchungen eines Sonderermittlers zu seinem Umgang mit geheimen Regierungsunterlagen. Manche Rechtsexperten meinen, bei einer Verurteilung in dieser Sache könnte Trump nicht mehr Präsident werden. Erst am Montag berichteten US-Medien, Ermittler hätten neue Beweise wie Notizen und Fotos gesammelt. Fachleute gehen davon aus, dass sich die Untersuchungen im Endstadium befinden - und damit womöglich eine weitere Anklage gegen Trump bevorsteht.
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